Manchmal wäre Schweigen ein riesiger Gewinn!
Immer wieder, und in letzter Zeit immer öfter, werde ich gefragt: „Warum helft ihr Menschen, die selbst schuld sind an ihrer Situation?“; „Warum seid ihr für dieses arbeitsscheue G’sindl da und lasst Euch von denen verarschen?“. Solche und ähnliche „Fragen“, manchmal noch viel Boshaftere, bekomme ich mehrmals jede Woche. Interessant zuerst ist ja, wer solche Fragen stellt, aus welcher Ecke der Gesellschaft diese Menschen kommen, die sich derartig äußern.
Eines kann man durchaus sagen, und ich überlege hier sehr gut, was ich schreibe, es sind zum überwiegenden Großteil Menschen, die entweder selbst immer auf die Butterseite des Lebens gefallen sind oder von Haus aus gesegnet sind mit einem sorgenfreien Leben, und zum Zweiten kommen solche Fragen auch immer wieder von Menschen, die in unseren Schützlingen billige Arbeitskräfte sehen und lautstark damit hadern, kein Personal für ihre Firma zu finden. Zitat: „Die arbeitsscheuen Schmarotzer sollen endlich aufstehen und in ihrem Leben etwas leisten.“ Diese Aussagen sind jetzt sehr abgeschwächt formuliert, die originalen Aussagen möchte ich hier nicht wiederholen.Frage: Wie kann man auf Menschen, die am Boden liegen und mit ihrem Schicksal bis ans Lebensende bedient sind, warum muss man auf diese Menschen noch hinschlagen, hintreten, hinspucken? Dass man selbst auf die Butterseite des Lebens gefallen ist, das ist keine Leistung, das ist pures Glück. Ich frage mich immer, warum machen gerade diese Menschen solche rhetorischen Untergriffe? Geht es denen nachher besser dadurch? Was mag der wahre Grund sein, für die immer wiederkehrenden Angriffe gegen unsere Schützlinge?
Ich bin der Meinung, dass bestimmt jeder Mensch dieser Welt, eine eigene Meinung haben darf, haben soll und haben muss, aber wie kommt man zu so einer Meinung? Neid? Fehlende Empathie? Grundsätzliche Abneigung? Was? Ich lade gerne solche Menschen zu uns ins Lager ein, um hier ein klein bisschen über das Thema Obdach- und Wohnungslosigkeit, Armut oder die Gründe dafür, zu reden. Ich lade diese Menschen auch immer wieder gerne zu unserem Verteil-Donnerstag ein, hier kann jeder Kontakt zu unseren Schützlingen haben und direkt Fragen stellen. Warum hat es in den letzten 7 Jahren KEIN EINZIGER dieser Menschen, die sich nur negativ auslassen über Obdachlose, zu uns geschafft und haben es sich NICHT aus der Nähe angeschaut, was wir genau machen, wie wir es machen und für wen wir es machen. Warum wollte kein einziger dieser Menschen unsere Schützlinge kennenlernen? Sie fragen warum es so weit gekommen ist? Sie fragen, was schief gegangen ist in ihrem Leben? Warum stellen sich diese Menschen keiner Diskussion oder einem Gespräch, indem man erklären könnte, welche Menschen es betrifft, welche Menschen zum Teil auf der Straße leben, da sind Ingenieure dabei, Doktoren, blitzgescheite Menschen. Warum schimpft man lieber über diese Menschen? Man könnte sich einem Verteil-Donnerstag stellen und sich das alles genauer aus der Nähe anschauen? Nein, die Leute deuten lieber von weitem mit dem Finger auf andere Menschen, ohne diese zu kennen.
Diese boshafte und abartige Art Menschen zu begegnen, werde ich niemals dulden. Höre oder sehe ich ähnliches, dass jemand auf unsere Schützlinge herzieht, greife ich ganz sicher ein. Aber es ist ja nicht nur eine Unart, auf Menschen am Rande der Gesellschaft loszugehen. Auch wir werden manchmal auf unserer abendlichen Linz-Tour angeredet und abwertend angesehen, besonders im Volksgarten machen die Jugendlichen dort keinen Hehl daraus, dass sie die Obdachlosen nicht mögen, uns gleichzeitig belächeln und provokante Aussagen hinterherwerfen. Würden all diese Menschen einfach die Luft anhalten und einmal, nur einmal pro Tag NICHTS sagen, hätten wir vieles erreicht. Nicht alles und nicht jeden muss man kommentieren, bewerten, be- oder verurteilen. Das, so denke ich liebe Leute, steht NIEMANDEM zu, jemand anderen zu verurteilen, zu bewerten, niemandem, weil niemand dieser schimpfenden Menschen in den Schuhen des Betroffenen gehen muss. Niemand kennt die Beweggründe, die Schicksale hinter dem Gesicht, ergo hat niemand das Recht hier Menschen zu beleidigen.
Wären es keine Obdachlosen, sagen wir einfach Mal als Beispiel, wären es körperlich eingeschränkte Menschen, würde sich niemand echauffieren oder an dem Menschen stoßen, oder sagen wir, nur ganz wenige, aber ist der behinderte Mensch zugleich auch obdachlos, na dann wären ihm die Schimpftiraden sicher, weil er ja sicher durch die Obdachlosigkeit die Behinderung erlitten hat, und ganz bestimmt nicht umgekehrt. No Na! Weder behinderte Meschen noch obdachlose oder arme Menschen dürfen solchen Angriffen ausgesetzt sein. Menschen, egal in welcher Art sie „schwach“ sind, müssen respektiert und akzeptiert werden, so wie all diejenigen, die aus einer gesicherten Existenz heraus andere diffamieren und belächeln. Würden diese Menschen sich einfach umdrehen und einfach nichts sagen oder gestikulieren, wäre vieles gewonnen. Niemand der in solchen Schuhen je gegangen ist, sollte sich anmaßen über andere Menschen den Stab zu brechen. Das steht NIEMANDEM zu!
Noch eine kleine Anmerkung abseits des obigen Themas, weil sie für mich wichtig ist. In letzter Zeit höre ich immer öfter, Zitat: „Walter du musst auf dich aufpassen“; „Walter du musst einbremsen, sonst gibt es dich nicht mehr lange“; „Du musst dich auf die Kernkompetenzen konzentrieren, sonst gehst du unter“. Solche und ähnliche Aussagen kamen ganz viele die letzten Wochen und Monate, aber niemand sagte mir je, wo ich beginnen soll, unsere Aktion einzuschränken, zusammenzustreichen. Egal bei welcher Sache ich beginne zu streichen, einzuschränken, es trifft IMMER die Ärmsten. Es wird immer diejenigen treffen, die am wenigsten dafür können. Ich möchte mir niemals die Frage stellen müssen, wem geben wir zu essen und wem helfen wir in der Obdachlosigkeit, das werden wir ganz sicher niemals tun.
Dass auch wir die Welt nicht retten können, wissen wir, aber wir tragen unsere Aktion mit ganz viel Herzblut herum und werden tun, was wir können. Unsere Aktion ist schon sehr umfangreich geworden, jedes Jahr gewachsen, dieses wachsen muss eingebremst werden, weil die Arbeit fast nicht mehr zu schaffen ist, aber wir möchten nicht streichen. Wir werden auch weiterhin die Einrichtungen mit Spenden beliefern, wir werden trotzdem unsere Linz-Tour zu den Hortspots fahren und helfen, und wir werden weiterhin unseren Verteil-Donnerstag machen, weil uns unsere Schützlinge, egal wo sie sind, auf der Straße oder in einer Notschlafstelle, wichtig sind. Natürlich suchen wir Helfer/innen, die sich gemeinsam mit uns auf den Weg machen, um zu helfen. Wenn jemand bei uns mitmachen möchte, helfen möchte, ist er/sie herzlich willkommen. Wir würden uns über neue Teammitglieder riesig freuen. Wir suchen auch Menschen, die in unserem Verein Verantwortung übernehmen möchten und können. Meldet Euch einfach bei mir oder kommt Samstagvormittag zwischen 9 und 12 Uhr einfach ins Lager, da können wir uns gerne über unseren Verein, über unsere Aktion unterhalten.
Der Donnerstag begann heute für mich einmal ausgeschlafen, all die Besorgungen habe ich gestern schon gemacht, Brot, Gebäck, Obst und Gemüse, TK- und Kühllager und alles andere. Heute stand zusätzlich noch an, den ganzen Einkauf vom Dienstag einzulagern, 5 große Kombis voller Waren, die weggeräumt werden müssen. Zusammen mit Stefan, Petra und Barbara war das im Nu geschafft, wir haben eben ein kompetentes Team, das tatkräftigst mithilft. Vor allem, dass heute am Feiertag so viele Helfer/innen sich Zeit genommen haben, um mitzuhelfen, das ist einfach nur großartig. All die Vorarbeiten waren heute frühzeitig abgeschlossen, so dass wir bei Sonnenschein und 27° in Ansfelden um 14.55 Uhr losfuhren. Ich rechnete heute, da Monatsbeginn ist und die meisten etwas Geld erhalten haben, mit ca. 30-35 Schützlinge. Am Ende sollen es 64 werden, die sich heute am Monatsanfang bei uns Lebensmittel holen müssen. 64 Menschen, die Entwicklung ist keine Gute, ich hoffe und wünsche es mir ganz fest, dass es sich wieder ändert, dass sich die Situation wieder halbwegs normalisiert und dass die Zahlen wieder runter gehen. Jedes einzelne dieser Schicksale ist eines zu viel. Als wir ankommen waren erst etwa 10 Menschen da, die uns halfen alles auszuladen und aufzubauen. Die Sonne brannte herunter wie im Hochsommer, und wir bauen unsere Tische, an denen unsere Formulare ausgefüllt und die Einkommensnachweise überprüft werden, auf. Barbara füllt die Formulare aus und fotografiert unsere Schützlinge, denn auf dem Ausweis, den sie künftig bekommen von uns, ist ein Bild, alle Daten und die Berechtigung. Seit 3 Wochen füllen wir Formulare aus und kontrollieren wieder, ein sagenhafter Mehraufwand, der aber sein muss.
Punkt 16 Uhr beginnen wir die Ausgabe und wir verteilen gleich zu Beginn Mineralwasser für alle in der Reihe, dass niemand kollabiert, und wir verteilen auch gleich Vanille-Sahne-Schnitten. Eine vorzügliche Köstlichkeit die unsere Schützlinge nur ganz selten bekommen, bei uns jede Woche. Es geht heute friedlich und gesittet vor sich, niemand meckert, niemand schimpft, alle sind zufrieden, dass wir auch am Feiertag hier sind und austeilen. Manche, die erst 1-2-mal bei uns waren, verkennen uns mit einem Einkaufsladen, möchten teilweise Kleidungsstücke haben, die wir weder organisieren noch kaufen könnten. Ich würde niemals Marken-Kleidung kaufen, weil wir mit Euren Spendengeldern auch diejenigen Dinge kaufen, die wenig oder gar nicht gespendet werden, aber diese Dinge müssen weder einen Haken noch 3 Streifen haben. Und manche Menschen, die gerade obdachlos geworden sind, würden gerne solche Kleidung haben, das aber wollen wir und können wir nicht leisten. Jeder Cent Spendengeld wird gut investiert, kein Cent zu viel ausgegeben, und schon gar nicht für solche Sachen. Es war auch unser „Affi“ heute wieder da, wenn man bedenkt, dass er ziemlich krank ist, ein Wunder, dass er den, für ihn sehr weiten Weg, zu uns findet. Seine Turnschuhe gehen aus dem Leim, seine Jeans schmutzig, sein T-Shirt zerrissen. Zuerst setzen wir Affi mal hin, um ihm die kaputten Schuhe auszuziehen, hier offenbart sich, dass er dringend zu einem Arzt müsste. Beate und ich ziehen ihm Socken an und darüber dann neue Turnschuhe. Er war glücklich über die neuen Schuhe, schaute immer hinunter und ging dann mit seinem unvergleichlichen Gang Richtung Bahnhof, vorher aber bat er mich noch um Jetons für die Notschlafstelle. Richie, Affis Freund aus der Nowa, schreit laut: „Wödklass, Woita, Wödklass, was ihr für uns macht. Das vergesse ich euch niemals, hörst du, NIEMALS vergesse ich das, dass ihr uns so helft“. Insgesamt gaben wir heute 32 Jetons aus, an jene Menschen, die sich die Jetons nicht kaufen können.
Über die Sommermonate werden wir die Ausgabe der Jetons leider stark einschränken müssen, was ich heute schon ankündigte und das auf wenig Gegenliebe traf. Melanie wollte es heute auch zum Bus schaffen, kam aber nicht, weil sie krank wurde. Ihr Schicksal liegt mir ebenso sehr am Herzen. Mit jedem/r Einzelne/n, mit allen verbindet mich etwas ganz Besonderes, jede/r ist besonders und hat Wertschätzung und Respekt verdient, und so halten wir es, mit Respekt und Wertschätzung. Um 18 Uhr ging der 64. Gast und wir luden schnell alles ein, um dann nach Ansfelden aufzubrechen und alles wieder einzulagern. Es war ein gesegneter Tag, ein guter Tag, ein tag an der Seite meines Herrn. Heute ließ er mich deutlich spüren, dass er an unserer Seite ist, und das tut schon sehr gut.
In den nächsten Wochen wird sich etwas Gravierendes ändern, in unserem Verein, in unserer Aktion, wenn es spruchreif und in trockenen Tüchern ist, werde ich hier davon berichten, bis dahin bleibt gespannt. Ich bedanke mich bei all unseren Wegbegleitern herzlichst, bei all unseren Spendern/innen, ohne Euch wäre das alles nicht möglich, könnten wir diese, unsere Aktion nicht machen. Vergelt’s Gott und habt großen Dank, eine tiefe Verneigung in tiefer Demut. Danke auch an unser gesamtes Team, das heute wieder so eine tolle Arbeit machte. Ich bin stolz auf EUCH, und ich bin froh, dass ihr den Weg mitgeht. Danke dafür und ein Vergelt’s Gott für jede/n Einzelne/n von Euch. Ich sitze seit 3 Stunden hier bei diesem Text und höre grade Alexas Zusammenstellung von John Prine, einfach großartige Musik von einem großartigen Menschen, der kürzlich an COVID starb. Seine Musik beruhigt und bewegt, bedenkt und begleicht so manche offene Rechnung. Euch liebe Leute wünsche ich eine gute Nacht und alles liebe, habt Sonne und Mut im Herzen, dann wird alles gut. 😊 <3