Emma und ihre Wunde!
Linz Tour vom 15.5.2021 - Heute fährt, nach einem langen Spendenannahme-Vormittag, unsere Ulli zum 1. Mal mit bei der Nacht-Tour. Sie ist gespannt was sie erwartet, ich auch. Treffpunkt 18 Uhr Metro Linz, pünktliche Abfahrt und 1. Anlaufstelle ist der Schillerpark.
Neben vielen anderen Gästen im Schillerpark sehen wir von Weitem schon, dass Melanie im Gras sitzt und ihre Schuhe ausgezogen hat, ihr gegenüber Mario, ein paar Meter entfernt stehen Elmar, Richie, Affi, Leo, Sophia und einige andere. Wir werden herzlichst begrüßt und wir fragen durch, wer was braucht. Alle gehen mit zum Bus, jede/r braucht was anderes, Richie arbeitet seit 2 Wochen und schläft auf der Straße, ich ziehe meinen Hut vor ihm, er weiß, dass das eine seiner letzten Chancen sein wird, die er bekommt. Unser Wolfgang, der uns jeden Donnerstag bei der Ausgabe hilft, schläft auch in der Notschlafstelle und arbeitet nun auch schon seit 14 Tagen. Einfach großartig, und dann hilft er uns noch bei der Ausgabe. Zurück zum Schillerpark, Mario, der vis a vis von Melanie saß ist noch nicht lange obdachlos, wir haben den Eindruck, dass er ein toller Mensch ist, dem auch das Schicksal in die Suppe spuckte. Er entschuldigt sich sehr oft, dass er obdachlos ist und bittet um Lebensmittel. Melanie nimmt eine gemeinsame Tasche Lebensmittel mit, für sie und Mario. Elmar braucht Unterwäsche und Socken, und ein paar Getränke. Elmar sagt uns 4-5-mal, Zitat: „Wenn ihr uns nicht helfen würdet, gäbe es viele von uns nicht mehr, ihr seid einzigartig“. Danke Elmar, für dieses Kompliment, das ich gerne ans gesamte Team weitergebe, es tut gut solche Worte von Betroffenen zu hören, dass man unsere Arbeit wertschätzt, auch Richie und Leo bestätigen Elmars Aussage. Josef, der Nächste beim Bus, braucht Schuhe, da seine kaputt sind, und Jetons für die Notschlafstelle. Er bekommt 2 Jetons und neue Turnschuhe sowie neue Unterwäsche und neue Socken. Richie braucht auch dringend Unterwäsche und Socken, er arbeitet am Bau und braucht jeden Tag neue Socken. Leo nimmt Affi unterm Arm und bringt ihn zum Bus, Affi braucht auch Schuhe, da sich die Sohle löst bei seinen alten Schuhen, bekommt er und zusätzlich 2 Jetons, und jeder unserer Schützlinge bekommt auch noch 3 Zigaretten. Zu guter Letzt machen wir noch kurz ein Foto, einige wollen aber nicht fotografiert werden und somit ist es auch OK. Richie, Leo und Affi stellen sich zu Ulli und schon sind die Fotos im Kasterl.
Weiter geht’s, nach einer langen Verabschiedung beim Schillerpark, zum Bahnhof, als 1. Gehen wir runter in die Finanzgarage, hier wurde rigoros gesäubert, und wir treffen niemanden an. Weiter in den Bahnhofspark, wo wir Stefan treffen. Stefan kommt gerade aus dem Gefängnis und möchte weg von der Straße. Er hat dieses Leben so satt. Aber es wird nicht leicht werden, ohne Führerschein, ohne Hilfe und ohne Plan. Er hat Kranschein, ist kräftig und möchte arbeiten und dieses Leben eines Obdachlosen hinter sich lassen. Ich mache ihm das Angebot, ihn bei seinem Vorhaben so weit es geht zu unterstützen. Er kommt am Donnerstag zum Bus und er wird es mir sagen was er nun machen will. Stefan schein dazugelernt zu haben, dass er mit Kraftausdrücken, wie in der Vergangenheit, nicht weit kommt, er ist leise und zurückhaltend und bittet um Schuhe, weil auch seine alten Schuhe das Zeitliche gesegnet haben. Gesagt – getan, Schuhe ausgehändigt und weiter geht’s zum Terminal. Wir parken wie immer bei Gaby, wo auch Wolfgang steht, der ab und zu am Terminal vorbeischaut. Wolfgang war bis vor kurzem auch Obdachlos und hat nun eine kleine 1 Zimmerwohnung im 6. Stock, der Lift ist kaputt und er schafft es nicht, die 6 Stöcke zu Fuß zu gehen, er ist herzkrank. Gaby hat alles was nass wurde auf der Bank, entsorgt und erzählt uns, dass Elvisa nachts oft wütet, Elvisa nimmt allen was weg im Schlaf und dadurch beginnt ein Streit, der oft in Gewalt endet. Elvisa möchte Gaby beschützen und kann ab einem gewissen Zeitpunkt aber nicht mehr unterscheiden, ob sie nun Gaby schützen oder bestehlen will. Sie ist gefangen in ihrer kranken Psyche und ist weit weg, sich helfen zu lassen. Elvisa verteilt alle Habseligkeiten von Gaby, Harald und Mike im gesamten Terminal, aus Wut, und so kommt es, dass viele mit Elvisa nichts mehr reden wollen. Ich nehme sie in den Arm und erkläre Elvisa, dass sie das zu unterlassen hat und dass sie sich einen anderen Schlafplatz suchen soll, hier im Terminal ist jeder Sauer auf sie. Wir packen ihr ein Sackerl voll Lebensmittel ein und sie geht direkt zu Harald und Mike und möchte ihnen etwas schenken aus ihrem Sackerl als Wiedergutmachung, aber die Verletzungen bei Mike und Harald und Heiko sind einfach zu tief und schicken Elvisa lautstark weg. Zu Guter Letzt kommt noch Heiko, ein neuer Obdachloser aus Deutschland der in Linz aufgeschlagen ist und Hilfe braucht. Auch ihm packen wir ein Sackerl.
Dann wandern Ulli und ich durchs Terminal und begrüßen alle anderen ebenso, eine Unbekannte Frau mit Schlafsack und Isomatten am Rücken, die bei Elke sitzt. Wir merken sofort, dass sich die Unbekannte schämt und gehen weiter zu Roman. Roman bittet um Cabanossi und Brot, aber vorher gehen wir noch zu Renate auf den Bahnsteig, wo sie jetzt wieder lebt. Auf dem Weg zu Renate überholt uns die unbekannte Frau, ich frage sie, ob wir helfen dürfen, sie verneint ihre Obdachlosigkeit, merken aber auch gleich, dass sich die Frau irrsinnig schämt. Wir lassen es gut sein und fragen nicht weiter nach. Auf dem Bahnsteig bei Renate, donnern 2 Meter von der Bank entfernt die Güterzüge vorbei, und letzte Woche machte Renate ja eine eindeutige Ansage, dass wenn sie nicht mehr mag, nur 2 Meter zu ihrem Grab hat. Renate ist heute besser drauf, wir besprechen wieder und wieder, ob sie nicht doch in eine kleine Wohnung möchte, Zitat: „Ja, möchte ich schon, aber so eine 1 Zimmer-Wohnung, wo man neben der Toilette schläft, kommt nicht in Frage“. Renate weiter, Zitat: „Da bleibe ich lieber auf der Straße oder mache dem Ganzen ein Ende“. Ich werde kommende Woche bei den Genossenschaften nachfragen, ob es eine Möglichkeit für Renate gibt, mal schauen. Wir wünschen Renate alles Gute und gehen zum Bus ins Terminal zurück. Roman wollte noch Cabanossi haben, wir rufen ihn und geben ihm seine geliebten Cabanossi. Dann geht’s weiter für uns, zur nächsten Station.
Donaulände! Als wir zu unserem Parkplatz fahren sehen wir, dass ganz viele Autos beim Brucknerhaus stehen und eine Veranstaltung im Gange ist. Wir bitten trotzdem, hier parken zu dürfen, kein Problem. Wir gehen zu Florian und sagen ihm, dass wir seien gewünschten Sachen mit haben. Handschuhe, Haube, Jogginghose und neue Clogs, die unsere Ingrid aus der privaten Tasche einkaufte. Vielen lieben Dank dafür, liebe Ingrid. Florian kommt mi zum Bus und bedankt sich in seiner gepflegten Aussprache und geht zurück zu seinem Schlafplatz unter dem Baum. Wir bitten die Security, und bitte die Hände waschen zu dürfen, was wir auch gleich tun dürfen, beim Verlassen entsteht ein kleiner Smalltalk über Obdachlosigkeit, über Schicksale und Gründe dafür. Die Herrschaften bedanken sich ebenfalls für unsere Arbeit und wir fahren weiter, zu Franziska.
Für Franziska haben wir eine Heilsalbe dabei, die ebenfalls unsere Ingrid kaufte. Franziska ist nicht auf ihrem Schlafplatz, also warten wir ein paar Minuten. Sie kommt mit Emma nach etwa 10 Minuten und begrüßt uns. Sie erzählt uns von den vielen zecken bei Emma und fürchtet, dass sie auch einen am Gesäß hat. Ulli schaut sich das an und kann Franziska beruhigen, es ist keine Zecke. Aber Franziska geht es seit 2-3 Tagen nicht gut, sie hat Fieber und es fröstelt sie. Dann schau ich mir all die Wunden auf Emma ihrem Hund an, Wahnsinn, unter einer Kruste wo der Zecke saß, ist das Fell von Wundflüssigkeit hart geworden, ich kratze diese Kruste ein wenig auf und sehe ein tiefes Loch, das bis ins Fleisch geht. Das muss weh tun, tierisch weh tun. In der Zwischenzeit wo Ulli sich die Stelle bei Franziska anschaut telefoniere ich mit dem Tiernotdienst, und dieser bestellt uns für 22.30 Uhr ein und um die Kosten sollen wir uns keine Sorgen machen.
Ich sage das Franziska, wir müssen aber vorher noch zu Andy, der immer noch in Quarantäne ist und nicht einkaufen gehen darf. Also rauf auf den Gründberg und ein Sackerl zusammengepackt und vor die Tür gestellt. Dann gleich wieder zurück zu Franziska, Ulli und ich sind sich einig, dass wenn Franziska Krankheitssymptome hat, es besser sein wird, wenn wir Emma nehmen und mit Emma allein zum Tierarzt fahren, bevor wir uns an Franziska anstecken. Angekommen bei Franziska bitten wir sie, einsehen zu haben, dass wir uns nicht anstecken wollen, da sie ja fiebrig und krank zu sein scheint. Franziska schwenkt um und beginnt lautstark mit uns zu „reden“ und lehnt unseren Vorschlag ab, als Ulli und ich merken das geht schief, sie willig nicht ein, bitten wir Franziska wenigstens eine Maske aufzusetzen, da wir im Transporter auf engsten Raum nebeneinander sitzen. Und jetzt rastet Franziska völlig aus und geht schnellen Schrittes weg und schreit nur, Zitat: „Schleichts Euch, ich fahre nicht mit zum Tierarzt, nicht mit Euch.“ Wir sagen ihr des Öfteren, dass wir eh nicht ohne sie fahren, aber sie hört uns nicht mehr zu, sie reißt an der Leine von Emma, schleift sie stellenweise hinten nach und schreit uns zu, wir sollen sie allein lassen. OK, ich gehe zum Bus zurück, Ulli geht nochmal ein Stück des Weges den vorher Franziska ging, findet sie aber auch nicht, wir warten noch 10 Minuten, Franziska kommt nicht zurück, also fahren wir weiter, es hätte heute keinen Sinn mehr mit ihr zu reden, dazu kenne ich Franziska schon zu gut. Nur, sie merkt scheinbar nicht, dass sie Emma hier gerade absolut keinen Gefallen tut mit ihrer kindlichen Trotzerei.
Ab zum nächsten Hotspot, die letzten beiden Hotspots fahren wir enttäuscht an, Ulli und ich beschließen dann auch, dass wir uns von Franziska diese „Schuld“ nicht zuweisen lassen, diesen Schuh ziehen wir uns nicht an. Wir müssen uns auch schützen und wenn jemand schon Symptome hat, müssen wir umso vorsichtiger sein, wir können uns keine Quarantäne oder Krankheit erlauben. Die beiden letzten Stellen fahren wir noch an, bevor wir dann beschließen, um 23.15 Uhr, dass wir unsere Tour beenden, da wir auch beide schon müde sind. Also ab ins Lager, alles aus dem Bus ausladen und einlagern, und dann ab durch die Nacht, zur Metro wo Ulli ihr Auto geparkt hat. Ulli ist nachdenklich und ich wünsche ihr eine gute Heimfahrt, und wir sehen uns ja bald wieder.
Vielen, herzlichen Dank an all unsere Spender/innen und Gönner/innen, dass wir jede Woche unsere verschiedenen Aktionen machen dürfen, Vergelt’s Gott und habt großen Dank. Danke auch an unser grandioses Team, das mich bei jeder Aktion so großartig unterstützt, ohne Euch wäre das alles nicht möglich, vielen lieben Dank dafür. 😊 ❤