Bitte, ein Zimmer!
Nach einem arbeitsreichen Vormittag im Lager!
Wo wir nebenbei auch unsere Spendenannahme machten, war ich schon sehr gespannt und bedrückt, weil ja heute wieder unsere Linz-Tour zu den Hot Spots geplant ist. Unsere Schützlinge bei den Schlafplätzen aufzusuchen ist ja nochmal eine ganz andere „Liga“ als am Donnerstag Lebensmittel an sie auszuteilen.Um 18 Uhr ist Treffpunkt, heute ist Stefan mit dabei und wird mich tatkräftigst unterstützen, im wahrsten Sinne des Wortes. Noch schnell den Tank anfüllen und los geht’s, Richtung Linz zur 1. Stelle, Schillerpark. Kein Mensch weit und breit, also eine kleine Runde gehen damit wir niemanden übersehen, und wir fahren gleich weiter zur 2. Anlaufstelle, dem Volksgarten. Von weitem sehen wir einige brennende Kerzen rund um einen Baum, wo vergangenen Montag Mario zusammengebrochen ist und verstarb. Direkt bei diesem Baum sitzt D., der sich große Vorwürfe macht, wegen Matthias‘ Tod. Sein Hund liegt neben ihm, D. schaut starr auf das 2. Bild an diesem Baum, von Matthias. Er redet mit tränenerstickter Stimme mit mir und möchte erklären, was passiert ist, er macht sich schwere Vorwürfe, was aber so nicht sein kann und nicht sein darf, da ihn keinerlei Schuld trifft am Tod seines dicksten Freundes. Ich versuche ihm zu erklären, dass Matthias bewusst gerade diese Situation, wo D. mit seinem Hund Gassi ging, dazu nutzte, sein Leben zu beenden. Er wollte nicht mehr, konnte nicht mehr. D. ist fix und fertig, kann es immer noch nicht glauben. Einige unserer Schützlinge stehen bei diesem Baum und versuchen zu erklären, was geschah, möchte es greifbar machen doch die Situation ist so unerträglich für sie, dass sie immer wieder in Tränen ausbrechen. Stefan hielt sich im Hintergrund und ich redete mit D., und Stefan erzählte mir danach im Auto, dass ihn gerade vor diesem Baum ein Fremder angesprochen hatte, um ihm Rauschgift anzubieten, was Stefan mit einem „schleich di sofort von hier“ quittierte. Das ist doch der pure Wahnsinn, wenn sich hier fremde Typen unter die Obdachlosen mischen und alle anreden, um das „Dreckszeugs“ hier zu verkaufen. So etwas werde ich nie verstehen und auch nie verstehen wollen, NULL Verständnis für so eine Kaltschnäuzigkeit und so ein charakterlicher Fehltritt, dass ich es nicht in Worte kleiden kann.
Udo, den wir bei fast jeder Tour im Volksgarten treffen, bittet um Lebensmittel und kommt mit zum Bus. Sein Rucksack, den er vor 1 Monat von uns bekam, ist kaputt, die Verstell-Spangen sind gebrochen, kann vorkommen, Udo bekommt einen neuen Rucksack, was ihm ein „Poah, sooo ein Hammer dieser Rucksack“ entlockt. Er packt vor Ort seinen alten aus und den neuen ein, dann erklärt er uns noch ein paar Sachen, die ebenfalls vorgefallen sind und dass er sich in Sandra, die bei der letzten Linz-Tour mitgefahren ist, verliebt hat. Udo kannte Sandra schon von früher und die beiden haben sich letztens schon ausgetauscht: „Bitte sag ihr einen ganz lieben Gruß von mir“, klar, machen wir.
Weiter geht’s zum Bahnhof, wo vor dem Haupteingang H. steht und wir bleiben kurz stehen. H. hätte gerne eine Winterjacke, na gut, dann musst du auch mitkommen zum Bus. Ein zweiter, mir vom Donnerstag bekannter Obdachloser hängt sich an und kommt ebenfalls mit zum Bus. H. bekommt seine neue Fliegerjacke und der andere, ich kenne seinen Namen nicht, ein Sackerl voll Lebensmittel. Weiter geht’s ins Terminal, wo Meikel, der lange Hans, Gaby und noch ein paar Andere direkt nebeneinander leben und schlafen. Andy kommt als erster zum Bus und bittet auch heute wieder um neue Schuhe, obwohl er neue anhat, ich verneine und gebe ihm keine, da seine Schuhe in Ordnung sind, gefüttert und Wasserfest sind. Ich sage Andy noch: „Wenn deine Schuhe kaputt sind, bekommst du neue, aber nicht auf Vorrat.“ Andy ist enttäuscht und geht leise schimpfend vom Bus weg, um gleich wiederzukommen. „Darf ich wenigstens Lebensmittel haben?“, ja, klar. Gaby und ein paar Andere, die uns um ein paar Sachen gebeten hat, die ich am Feiertag nach Linz bringen werde, holen sich ebenfalls Lebensmittel und Schlafsäcke bei uns, unser mitgebrachter Vorrat von 3 Stück Schlafsäcke ist hier schon aufgebraucht, alle weg und keiner dabei, der den Schlafsack nicht dringend brauchen würde.
Wir stehen bei M. und seinem Freund und reden, über Mario, weil ja Mario ihr Freund war und bei ihnen lebte. Die Stimmung ist teilweise am Boden, deshalb wechseln wir das Thema. E. ist mit einer heißen Pizza im Anmarsch und teilt sie unter seinen Freunden auf dem eiskalten Boden, auf. Die Situation veränderte sich binnen Sekunden, als der 14-Jährige R. auftauchte, unsere Schützlinge machen sich strafbar, wenn sie R. nicht wegschicken, deshalb bitten alle R., wegzugehen, dieser aber bleibt wie versteinert stehen. Eine Frau um die 35 Jahre mit ihrer kleinen 8-jährigen Tochter kommt zeitgleich mit R. an und behauptet, R. sei ihr Sohn. Nach weiteren 2 Minuten sagte diese Frau, die den Obdachlosen bekannt ist, aber keiner möchte, dass die Frau mit ihrer Tochter hier bleibt und weiter „blöd“ redet. Sie sagt Dinge zu den Obdachlosen, die gehen gar nicht, ihr Partner trinkt aus einer Wodkaflasche neben seiner Stieftochter und niemand kümmert es. Ich gehe zu R. und rede mit ihm, dass das hier kein Umgang für ihn sei und er bitte heimgehen solle. „Von dort komme ich gerade, vom Kinderheim in P., und zu Mitternacht werde ich mir überlegen ob ich heim gehe oder nicht, aber jetzt bleibe ich einmal hier und da können sie auch nichts machen“, sagte er vollmundig zu mir. 14 Jahre und ein Leben auf der Straße, der absolute Wahnsinn für diesen Jungen. Aber auch ich habe keine Antwort und keinen Rat, da er scheinbar auf niemanden hört. Am Ende des Terminals sehe ich noch jemanden auf einer Bank liegen, ich gehe vor und schaue, ob wir helfen können. NEIN! Das darf jetzt nicht wahr sein! G., der viele Monate im KH war, auf Intensiv, ist nun wieder obdachlos, weil seine Ex-Frau, die ihn in der früher gemeinsam angeschafften Wohnung schlafen ließ, die Wohnung, während seines KH Aufenthaltes verkaufte. G. wusste das aber nicht und er wurde erst letzte Woche aus dem KH entlassen und lebt nun wieder auf der Straße. G. ist schwer krank, war wochenlang im Koma und trägt immer noch den Verband um den gesamten Bauch, weil er keine Wundheilung hat und somit keine guten Chancen hat, dass sich der offene Bauch schließt. Auch ein Wahnsinn, diesen Mann aus dem Krankenhaus auf die Straße zu entlassen. G. kommt mit zum Bus, wo ich seine Krankenhauspantoffel gegen warme Winterschuhe austausche und ihm ein paar Lebensmittle mitgebe. G. verspricht mir, am Donnerstag zum Bus zu kommen und wenn er Hilfe braucht, mich auch wirklich anzurufen. Ich bin gespannt.
Immer noch am Terminal, mittlerweile hat die Frau mit ihrer Tochter schon ganzen Unfrieden erzeugt, pöbelt alle böse an und schreit durchs Terminal in unsere Richtung: „Schau mich nicht so deppert an, ich kauf dich nicht“. Was mich an sie herantreten ließ und mich sagen ließ, „dass wir weder deppert schauen und auch nicht dumm sind“. Ich drehte mich um und sah ein Auto, das auf unserer Höhe stehen bleibt. Sandra, die bei der letzten Tour dabei war, steigt mit ihrer Freundin aus und freut sich sichtlich, uns zu treffen, wir freuen uns auch sehr. Sandra geht zu Meikel und redet mit ihm, wobei die Frau auch Sandra blöd anmacht. Als mich die Frau dann auf derbste beschimpft, bin ich froh, dass Stefan dabei ist und der sagt: „Komm wir fahren, weg von hier“. Wir haben auf der Linz Tour selten solche Menschen gesehen, die nur Stunk und schlechte Stimmung verbreiten. Renate war auch nicht anzutreffen am Bahnsteig, also teigen wir ein und fahren weiter unsere Tour. Florian schläft schon, nimmt aber dankend die speziell für ihn mitgebrachten Sachen an und verkriecht sich wieder unter die schmutzige Plane unterm Baum. Nächste Anlaufstelle, Autobahnbrücke, zu Franziska und Gerald, Emma, Franziskas Hund, kommt unter der Decke hervor und winselt uns vor Freude entgegen. Gerald lehnt Hilfe ab: „Danke, ich habe alles“, und Franziska kommt mit Emma mit zum Bus. Franziska sagt noch zu mir, dass Gerald Winterschuhe brauche, ich suche 41er Stiefel, die Wasserfest und Winterfest sind und gebe sie Franziska mit sowie einige Lebensmittel. Wenn Gerald die Schuhe nicht mag, hole ich sie nächsten Samstag wieder ab. OK, Gertrude hat mittlerweile angerufen, wo wir bleiben. Wir haben ihren Freund Adrian am Terminal aufgelesen und nehmen ihn mit auf den Gründberg. Also auf geht’s, auf den Gründberg.
Gertrude bietet und Tee an und Raimund, den wir seit langer Zeit suchten, sitzt ebenfalls bei Gertrude auf dem Bett. Raimund hat nun ebenfalls ein Zimmer dort. Gertrude erzählt mir, dass der Vermieter nachts ums Haus schleicht, jeden Tag um 7 Uhr an der Tür klopft und Gertrude sagt, was sie zu tun hätte. Gertrude erzählt mir auch, dass ihr Zimmer nicht beheizt wird und deshalb das kleine elektrische Heizgerät hier ist. Was? Es wird nicht geheizt? Der Vermieter ließ mir auch ausrichten, er wolle mit mir reden. Na dann, das ist ein guter Grund gegen dieses Verhalten Einspruch zu erheben. Gertrude läutet beim Vermieter und wir gehen in die Wohnung, wo es gefühlte 40° hat, also richtig heiß. Ich rede ihn an warum er trotz gesetzlicher Heizperiode ab 1. Oktober, nicht heizt. Er hat viele Ausreden und Behauptungen, die nicht wahr sind und von Gertrude vehement bestritten werden. Der Vermieter behauptet, dass stundenlang die Zimmertür und die Haustür offen stehen und das Fenster den ganzen Tag geöffnet sei. Was ebenfalls eine unwahre Behauptung ist, laut Gertrude und Adrian, der einen ganzen Tag lang kostenlos Holz schlichten musste, ohne einen Cent zu bekommen. Ich mache Hr. L. klar, dass das so nicht geht, er droht mit der Miete raufzufahren, weil ja gerade die Energiepreise explodieren, wenn er die Heizung einschalten müsse. Ich spüre, wie es mir den Hals zuschnürt, Hr. L. möchte eine Aufzahlung für etwas, was eigentlich selbstverständlich ist, denn wenn ein Zimmer angemietet wird, ist es immer inklusive Heizung. Ich mache Hr. L. klar, nachdem er gesagt hat „Ihr könnt ja ausziehen wenn's euch nicht passt“, dass wir bis Ende November, eine Alternative gefunden haben werden, und Gertrude mit Adrian ausziehen werden.
Ich gehe wieder zu Gertrude ins Zimmer und es dauerte keine 2 Minuten, kam Hr. L. wieder ins Zimmer und schimpfte: „Das Fenster ist ja schon wieder offen“, ja, weil geraucht wird und auch gelüftet werden muss, was ihn nur peripher tangiert. „Wann ziehts aus?“ seine Worte, bevor er hörbar das Zimmer verlässt. Deshalb müssen wir jetzt eine neue Bleibe, ein Zimmer für Gertrude und Adrian finden, auf schnellstem Weg. Denn das kann so nicht sein, dass mitten in der Nacht beim Fenster reingeschaut wird, frühmorgens geklopft wird, um Gertrude und Adrian zu sekkieren. Also liebe Leute, wenn jemand ein Gasthaus oder eine Pension weiß, die günstig Zimmer vermieten, bitte bitte, meldet euch bei mir. DANKE! Gertrude gibt mir dann noch einen Sack mit getragener Kleidung mit, die von der letzten Nacht im Leben von Matthias stammt. Matthias war in der Nacht vor seinem Tod bei Gertrude, völlig durcheinander und geflasht verließ er um 4 Uhr früh das Zimmer auf nimmer wiedersehen. Ich nehme die letzten Kleidungsstücke von Matthias mit und wir machen unsere Tour weiter, mit dem Versprechen Gertrude gegenüber: „Wir finden etwas, glaub daran und gib die Hoffnung nicht auf Gertrude“. Sie ist aufgrund der Reaktion des Vermieters den Tränen nahe. Gertrude und Adrian kommen noch mit zum Bus, um sich ein paar Lebensmittel zu holen.
Wir fahren weiter zum Pleschingersee, und sehen, dass der Platz abgesperrt ist, es ist mittlerweile 22.45 Uhr, wir machen uns auf den Weg ins Lager, es reicht für heute. Im Lager angekommen wird alles ausgeladen und eingelagert, um 23.15 Uhr setze ich Stefan bei der Metro ab und die Nacht wird mich noch lange nicht schlafen lassen, wegen der Vorkommnisse heute. Wir werden unser Bestes geben, ein günstiges Zimmer zu finden wo die Beiden leben können. Das setzt mir ziemlich zu, jetzt bis Ende November ein Zimmer finden zu müssen, in Linz. Der Herr wird uns dabei helfen, da bin ich mir sicher. Danke für Eure Aufmerksamkeit und wir wünschen Euch noch einen erholsamen Sonntag, danke für alles! 😊