Alkohol oder eine echte Chance!
Diese Woche begann mit einem wunderbaren Termin bei einer Dame, die sich bestens mit dem Thema Kommunikation auskennt und ich kann jede noch so kleine Hilfe gut brauchen. Es ging um unsere Postings hier und wie man „Themen“ aufbereitet bzw. diese so formuliert, damit wir Euch virtuell auch weiterhin mit auf unsere Reisen nehmen zu können. Ich werde mich bemühen alle Tipps umzusetzen und nichts zwischen den Zeilen zu schreiben, dass der spekulativen Interpretation zum Opfer fällt.
Heute möchte ich etwas ansprechen, was bei den meisten unserer Schützlinge beim Leben auf der Straße später dazukommt, aber bei Weitem nicht der größte „Auslöser“ von Obdachlosigkeit ist.
Sucht! Mit etwa 19% Alkohol- und Drogensucht oder gar beides, Medikamentensucht, Spielsucht u.v.a.m. sind Süchte hinter Scheidung, Krankheit und Arbeitslosigkeit der vierte Grund für Obdach- oder Wohnungslosigkeit (Quelle Statistik Austria). Bei fast jedem 5. Obdachlosen ist die Sucht der Auslöser für sein persönliches Schicksal, ganz oder zeitweise auf der Straße leben zu müssen.
Ich selbst bin trockener Alkoholiker, seit 3.1.1995 trocken und ich erlebe heute noch heftige Sucht-Attacken. Wenn ich hier der Sucht wieder nachgeben würde, würde ich nicht mehr lange leben. In vielen Lebenslagen warten leider ungeahnt viele Möglichkeiten, rückfällig zu werden. Warum würde ich nicht mehr lange leben? Weil ich, durch den inzwischen 27-jährigen Verzicht auf Alkohol das Gefühl hätte, all die Verzichte der letzten 27 Jahren wieder aufholen zu müssen. Würde ich heute zur Flasche greifen, würde ich mehr trinken als je zuvor und deshalb würde ich mich binnen kürzester Zeit zu Tode saufen. Mein Körper erinnert sich jeden Tag an die Sucht, jeden einzelnen Tag kämpfe ich gegen die Sucht, gegen die Anziehung des Alkohols, gegen all die vermeintlichen Zustände wie „Vergessenheit“, dass der Alkohol auch macht, aber leider immer nur kurzfristig. Läuft man Gefahr, sich den Alltag, die täglichen Probleme wegtrinken zu wollen, weil diese sonst unerträglich werden, ist das ein hochgefährlicher Trugschluss. Der Alkohol betäubt nur kurze Zeit, lässt dich, wenn überhaupt, nur kurze Zeit die Probleme vergessen, meist sind diese dann, durch viele Faktoren, die im angetrunkenen Zustand noch passieren oder dazukommen, nachher um ein Vielfaches größer als vorher.
Im Kater des Vortages öffnet man keine Briefe mehr, man geht mit der „Kopf in den Sand stecken“ Devise durchs Leben und stellt sich weder den täglichen Problemen noch stellt man sich den Menschen, die Teil der Probleme sind. Man geht diesen Menschen aus dem Weg, will sich weder anhören, dass man endlich Probleme lösen soll, anstatt zu trinken oder man bekommt andere Dinge vorgeworfen, für deren Bewältigung genauso die Kraft fehlt. Die Flucht in die Sucht ist zu Beginn meist jene, die noch manchmal „gut“ tun kann, aber dieses „gut tun“ ist ja eine völlige Fehleinschätzung. Im alkoholisierten Zustand neigt man täglich dazu, völlig überzogene „Feststellungen“ zu machen und diese auch kundzutun. Eine dieser „Feststellungen ist: „Wenn ich will, kann ich heute noch zu trinken aufhören“. Das sagen ALLE Alkoholiker, ALLE, auch ich sagte das Jahrelang, und wusste genau, dass ich mir meine Alkoholsucht nur schönrede und so darstelle, dass ich in keine Lage komme, wo ich Menschen gegenüber zugeben müsste: „Ja, ich bin Alkoholiker“. Das zuzugeben können nur Süchtige, die wissen, dass sie wegwollen aus dieser immer tiefer greifenden Verantwortungslosigkeit sich selbst gegenüber.
Macht es bei einem Menschen nicht diesen Klick im Kopf, wo dieser alle Kraft für einen Entzug schöpft, ist es auch nicht möglich sich der Sucht zu entziehen. Man kann einen ambulanten oder auch einen stationären Entzug in einem Krankenhaus machen, ja, aber so lange dieser Mensch nicht 1000% in der Denkweise, in der Überzeugung ist, von der Sucht wegkommen zu wollen, hat es absolut keinen Sinn diese Alibi-Handlungen zu machen. Ein Besuch in einer Suchtambulanz wird so lange ein Alibiversuch bleiben, so lange man glaubt es auch alleine zu schaffen von der Sucht wegzukommen, das Schaffen nur die Wenigsten. Aber wenn es bei Menschen „Klick“ gemacht hat und sie absehen, wo sie im Leben hin Driften, kann es auch „heilend“ sein und hier gibt es wahrlich Potential, von der Sucht wegzukommen.
Bei mir selbst war ein simpler Vorfall der Auslöser, dass ich wahrlich über Nacht aufhörte zu saufen. Ich war in Kindberg in der Steiermark, am 3.1.1995, ich war damals noch Profi-DJ und trank jeden Tag 1 Kiste Bier, alleine und jeden Tag nur, wenn ich gearbeitet hatte. Tagsüber trank ich keinen Alkohol, ich kam abends in die Arbeit und begann zu trinken. Auslöser war der Stress, den ich nicht handeln konnte, der Druck von der Agentur, von der Direktion und von den Gästen, „erfolgreich“ als DJ sein zu müssen. Irgendwann verselbstständigte sich dieser Druck und ichkonnte ihm nur mehr mit Alkohol begegnen. Und an diesem besagten Tag, trank ich wieder zu viel und fuhr noch betrunken Auto ohne Führerschein, die Gendarmerie erwischte mich und brachte mich im angetrunkenen Zustand zuerst auf den Gendarmerie-Posten, um alles niederzuschreiben, anschließend fuhren mich die Gendarmen in die Pension, wo ich schlief. Es war mittlerweile etwa 6 Uhr früh, ich hatte damals ein Pensionszimmer ohne Fenster, nur eine Tür und die Toilette war irgendwo am Gang. In meinem angetrunkenen Zustand fand ich zuerst den Lichtschalter nicht, irrte einige Minuten völlig orientierungslos im Zimmer umher bis ich in die Hose machte und hilflos zu weinen begann, ich weinte mich in einen Weinkrampf und konnte eine Zeit lang gar nicht aufstehen, ich war inzwischen zu Boden gesunken. Dieses „in die Hose machen“ war für mich so ein massiver Vorfall, war für mich die Summe all meiner selbstzerstörerischen Versagen, dass ich noch in diesem Augenblick beschloss, als ich wieder aufstand und duschen ging, mit dem Alkohol Schluss zu machen, sofort und ganz!
In diesem Augenblick des Verlustes meiner Körperkräfte, des Verlustes meines Anstands mir selbst gegenüber, merkte ich im anschließenden stundenlangen Nachdenken über das was gerade geschah, dass ich nicht mehr lange leben werde, wenn ich nicht sofort und umfassend dem Alkohol abschwöre. Ich begann zu zittern vor Angst, alles und mein Leben zu verlieren, ich brach immer wieder in Tränen aus, ich war in einem derart desolaten Zustand und meine Gedanken, die ich noch fassen konnte, kreisten um das einzige, mir jetzt so wichtige, dass es hoffentlich noch nicht zu spät ist um sich selbst aus dieser durch jahrelange Sauferei entstandene Lage, selbst herauszuziehen. Ich spürte, wie mir dieser Gedanke auf einmal Kraft gab, unheimliche Kraft dem Alkohol zu entsagen, da es nicht sein kann, dass der Alkohol solche und noch viel schlimmere Dinge mit mir machen kann. Seit diesem 3.1.1995 trinke ich nicht mehr und muss trotzdem jeden Tag auf der Hut sein, da die Gefahren einer neuerlichen Sucht an jeder Ecke im Leben wartet.
Sei es beim Arzt, bei der Blutabnahme, zu Beginn wurde ich noch mit Alkohol desinfiziert, bis ich im gleichen Augenblick wieder einen Entzug bekam, das hieß damals wieder 5-6 Wochen mit all den Entzugserscheinungen zu leben, kalter Schweiß, starkes Zittern, trockene Mundschleimhäute, unsicherer Gang und keine Sicherheit beim Greifen nach Dingen. Das passierte mir 3-4-mal, dass ich solche Entzüge hatte, zum Teil durch meine Leichtsinnigkeit, zum anderen Teil durch Tatsachen, die ich damals einfach unterschätzte. Tabletten in denen Alkohol verarbeitet war, Kuchen oder Torten mit verschiedenen alkoholischen Bestandteilen, all dem schwor ich in all den Jahren ab. Wenn ich nicht sicher bin, bestimmt etwas Alkoholfreies zu mir zu nehmen, greife ich es erst gar nicht an. Sei es eine Bier Soße, eine Wein Soße, sei es etwas flambiert Fleischiges, oder Süßigkeiten in denen Alkohol verarbeitet wurde, wie gesagt, man muss wirklich gut aufpassen, was man zu sich nimmt, um der Sucht nicht wieder eine „Chance“ zu geben. Und diese Sucht bleibt ein Leben lang, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, und wenn man dieses Leben ohne Alkohol wirklich will, schafft man es, ob mit Hilfe oder ohne Hilfe, wie bei mir. Möglichkeiten den Süchten abzusagen, gibt es viele, es liegt immer nur an den Menschen selbst, einzusehen dass man mit der Sucht keine echte Chance im Leben mehr hat. Bei denen, die die letzten Chancen ergreifen kann es gut ausgehen, Garantie gibt es aber sowieso nie, für nichts im Leben.
Ich bekam mein Leben zurück, zwar in abgewandelter Form aber umso glücklicher, dass ich heute keine Partys mehr feiern muss, an denen ich nur angetrunken Stimmung machen kann. Es war ein weiter Weg hierher, einige Suizidversuche und viele Einsichten später, stehe ich heute hier und weiß genau, dass ich in diesem Leben so viel Alkohol getrunken habe, dass es für 3 lange Leben reicht. Diese Masse an Alkohol die ich konsumierte, brachte mich an viele unerträgliche Stellen im Leben, brachte mich aber gottseidank auch zu jenen Menschen, die mich damals Gott näher brachten. Die Eltern meines besten Freundes Andy, Heidi und Rudi, sie waren es 1995, die all die angstmachenden Entzugserscheinungen mit mir teilten und alles ertragen haben, egal wie launisch, wie unerträglich, wie abgründig ich in der Tagesverfassung damals war. Der Entzug damals ging etwa 4-5 Monate, und sie waren es die mir wieder eine Perspektive gaben, dass es ich lohnt, am Leben zu bleiben und Gott jeden Tag zu danken, dass man noch lebt. Ich weiß aber auch, dass es nicht viele Heidis und Rudis und Andys im Leben des einen oder anderen Süchtigen geben wird, umso dankbarer bin ich für Andy, Heidi, Rudi und der gesamten Familie S., die mich auf meinem Weg stärkte und unterstützte und mir den Glauben an Jesus näher brachte, auch ohne ihn würde es mich schon lange nicht mehr geben.
Damals, das war eine meiner schwersten Zeiten, heute und die letzten 25 Jahre verbeuge ich mich tief vor diesen Menschen Heidi und Rudi, die in mir Gottes Geschöpf sahen und mir mit so viel Geduld, mit so viel Nachsicht und noch mehr Unterstützung entgegen kamen. Ohne diese Familie gäbe es mich schon lange nicht mehr, ich hätte mich zu Tode getrunken, habe aber inzwischen auch gelernt immer auf all die Gefahren zu achten, um keinen Rückfall mehr zu haben. Wenn aber ein Mensch nicht diesen Glauben zu Gott entwickelt und in sich wach ruft, wenn ein Mensch nicht mehr an sich glaubt, wenn man einem alkoholkranken Menschen jede Hoffnung nimmt und ihm keine Chance mehr schenkt, die auch wirklich diesen Namen verdient, wird’s schwer für jeden Einzelnen, der versunken im Alkohol dem Leben fristet und eigentlich nur auf den letzten Tag wartet. Alkohol ist keine Lösung, Alkohol ist ein großes Problem, es ist „modern“ geworden, in Gesellschaft zu trinken und hinterher sich selbst zu belügen und alles zu verharmlosen, das machen die potenziell gefährdeten Menschen, die nahtlos zum Süchtigen werden. Nicht der Mensch, der manchmal betrunken ist, ist alkoholkrank, sondern jene Menschen die durch ihre Regelmäßigkeit täglich Alkohol trinken, und das ist immens gefährlich, man rutscht immer weiter ab, ohne es deutlich zu merken, es geht schleichend und scheibchenweise, heute 1/8 Wein, morgen 1 Seiterl Bier, übermorgen 1 Flasche Wein und in 1 Woche, überspitzt gesagt, 1 Kiste Bier. Heute nenne ich mich selbst „trockener Säufer“, um nichts zu verharmlosen und die Dinge wirklich real zu nennen, alleine das Wort „Säufer“ macht mir große Angst, und diese große Angst lässt mich heute ohne Alkohol leben. Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit, die ein Leben lang in einem Menschen ist, es wäre großartig, wenn die Gesellschaft mit dieser Krankheit einen entsprechenden Umgang zu pflegen wüsste, ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Dieser Verteil-Donnerstag begann nach einwöchiger Pause wieder mit all den Vorbereitungen, und dabei halfen diesmal auch die Enkelkinder von Rena, die zu Besuch waren. Es tut immer gut, Kindern das Thema Armut und Obdachlosigkeit auf diese Weise, durch Mitarbeit, näher zu bringen. Wir machten wieder Wurstsemmeln und Brote für unsere Schützlinge, am Mittwoch holte ich schon alles aus dem Kühl- bzw. aus dem Tiefkühllager, also alles da, für heute Nachmittag. Matej, Barbara und Rena halfen den ganzen Vormittag alles herzurichten.
Wir fahren um 15Uhr weg von Ansfelden, bei 33° und einem Sommertag, wie aus dem Bilderbuch. Angekommen in Linz warten schon etwa 15 Schützlinge, am Ende werden es 71 Schützlinge sein, die uns heute besuchen. Anhänger abhängen und aufstellen, in diesem Moment kommt Servus TV und unser Mäcki Christian und das Team von Brillen Zwerger. Wenn man so etwas vereinbart, klappt es nicht mit so einer Pünktlichkeit, mit der heute alle ankommen bei uns.
Um 16Uhr starten wir unsere Ausgabe. Es dauert nicht lange, steht eine wunderbare Frau neben mir, Sr. Tarcisia, die 18 Jahre lang das Vinzistüberl in Linz leitete, ehe sie nach Wien gehen musste. Diese Frau ist so eine wunderbare Ratgeberin, die so ein ungemeines Wissen über Obdach- und Wohnungslosigkeit und auch über Armut hat, dass es fahrlässig ist, diese Frau einfach in Wien aufs Abstellgleis zu stellen. In unseren Anfängen stand uns genau diese Frau sehr oft mit guten Ratschlägen zur Seite, wir feierten 4 Weihnachten lang den heiligen Abend gemeinsam mit Obdachlosen, zuerst in der Kapelle der Barmherzigen Schwestern zur Mette, und anschließend bei Tee und Kekse im Vinzistüberl. Und immer gemeinsam mit unseren Schützlingen, es war eine so wunderbare Geste der Menschlichkeit, den heiligen Abend so zu feiern, ich vermisse diese Weihnachten sehr. Und heute steht diese Frau hier und schaut unserem „Treiben“ zu und ist vollends begeistert von der Aktion der Optiker, wie wir alle. Bis 17.30Uhr bleibt Sr. Tarcisia bei uns und staunt, was wir in all den letzten Jahren hier aufgebaut haben. Wir vereinbaren ein privates Treffen, nach meiner 4-tägigen Auszeit, die kommenden Montag beginnt.
Die Stimmung beim Bus ist gut, ist ruhig und alle sind geduldig, und sehr dankbar. Servus TV verabschiedete sich etwas früher, dafür aber umso herzlicher.
Vielen, lieben Dank an all unsere Spender/innen, die uns auch diesen Verteil-Donnerstag erst durch ihr Wirken ermöglichten, wir haben jetzt 3 Wochen Pause, der nächste Verteil-Donnerstag findet am 4.8.2022 statt und die nächste Spendenannahme ist am 6.8.2022.
Wir wünschen Euch sonnige Wochen und viele tolle Sommer-Erlebnisse, Gott segne Euch, liebe Grüße und: „schön, dass es Euch gibt!“ Passt bitte gut auf Euch auf. 😊 <3