B. und ihre unerträgliche Situation!
B. und ihre unerträgliche Situation!
Linz-Tour vom 10.2.2024:
Nach einer anstrengenden Woche und einem mehr als durchwachsenem Spendenannahmevormittag, stand heute wieder eine Linz-Tour auf dem Programm, von 18 Uhr bis etwa Mitternacht, wo wir zu den Hot-Spots und Schlafplätzen unserer Schützlinge fahren und alles mitbringen, was gebraucht wird.
Heute fahren Christian und seine Freundin Sabrina mit, Sabrina fährt zum ersten Mal mit und ist schon sehr gespannt, welche „Eindrücke“ auf sie warten. Wir starten wieder mit 8l heißem Tee und vielen Lebensmitteln, Hygieneartikeln und neuer Kleidung. Treffpunkt ist wie immer, 18 Uhr Metro Tankstelle.
Ich bin gerade noch am Tanken, da redet mich eine Frau, die neben mir tankt, an und wettert gegen die Dieselpreise und unsere Politik. Da stehen auch schon meine beiden Gäste von heute da und warten auf die Abfahrt. Die Dunkelheit ist schon hereingebrochen und wir starten unsere heutige Tour und wissen nicht, was auf uns heute so wartet.
Schillerpark und Volksgarten sind unsere zwei ersten Anlaufstationen. Schillerpark leer und im Volksgarten treffen wir Udo, Rainer und einige andere unserer Schützlinge. Rainer habe ich lange nicht gesehen, er ist aufgeschwemmt und sieht sehr, sehr krank aus. Seine Augen total gelb, seine Hände zittern, seine Jacke ist zerrissen und seine Schuhe sind löchrig. Ich lade Rainer und Udo zum Bus ein, wir gehen aber die Runde im Volksgarten noch fertig. Die Beiden quatschen aber noch weiter und sehen nicht, dass wir schon Richtung Transporter gehen, also nochmal zu den Beiden und dann ab, zum Bus.
Rainer bekommt als erster neue Schuhe, winterfeste und warme Schuhe, er freut sich sichtlich: „Hey Wahnsinn, Walter, genial“. Seine neue Jacke löst die zerrissene alte ab, Rainer ist gerührt und dankbar, Udo bekommt Lebensmittel und zu trinken, weil er sonst nichts braucht. Auch Udo bedankt sich im Namen von Rainer bei uns, weil Rainer emotional gerade nichts sagen kann. Alles gut, die Beiden haben alles, was sie brauchen.
Da sehen wir eine junge Frau, so etwa um die 30 Jahre alt, 2-Mal an unserem Bus vorbeigehen, und immer schaut sie mir mitten in die Augen, ich sehe, dass ihre Augen zu geweint sind, ihre Kleidung ist schmutzig und sie scheint hilflos umherzuirren. Zuerst versteckt sie sich um die Ecke, dann geht sie über die Straße, ohne zu schauen, ich gehe ihr nach und rufe sie, sie dreht sich um und bleibt stehen. Auf meine Frage, ob sie Hilfe braucht, bricht es aus ihr heraus: „Jeder der mir geholfen hat, hat meine Situation nur verschlimmert, ich bin in einer aussichtslosen Situation“. Mein Versprechen an sie, nichts zu tun, wenn sie das nicht will, bringt ein kurzes erstes „Vertrauen“, sie erzählt mir, was in ihrem Leben so los ist, und bricht ungehemmt in Tränen aus. „Mein Erwachsenenvertreter, der mir zugeordnet wurde und zu dem ich keinen Kontakt habe, weil er immer Dinge sagt und Dinge macht, die ich nicht will. Er hat mein Konto sperren lassen, jetzt kann ich kein Geld mehr abheben, und die Bank gibt mir für meine Bankomatkarte seit 8 Wochen keinen Pin damit ich etwas abheben kann.“ Sie ist aufgelöst und fragt mich, ob ich gläubig bin und ob ich beten könnte für sie, was ich gerne mache.
B. vertraut mir ihren Vornamen an und ist völlig durch den Wind, sie erzählt mir von ihrer Familie, dass Verwandte ihr dauernd Wahnvorstellungen prognostizieren, wenn B. innerhalb ihrer Familie etwas erzählt, wird es ihr immer als unwahre Anschuldigung und als erfundene Situation abgetan. Sie lebt bei ihrer Mutter und muss für ihren Ex-Mann von der Invalidenpension Unterhalt zahlen, was eigentlich schon ein Unding ist, da dieser gut verdient. B. wolle bei ihrer Mutter ausziehen, weil ja der Generationenunterschied zu groß ist und weil die Mutter sie auch nicht unterstützt. B. war wegen großer Bauchschmerzen beim Arzt, der ihr sagte, Zitat: „Das bilden Sie sich nur ein, da gibt es keinen Grund für Schmerzen“. Also das sind schon Aussagen, die ich absolut nicht verstehen kann und nicht will. Wie kann der Arzt in 5 Minuten abklären, ob sie Bauschmerzen hat oder nicht, vor allem ohne jeglichen Einsatz von Ultraschall oder ähnlichem. Alles, was mir B. erzählt, ist stimmig und kommt mir sehr bekannt vor, wie man mit Menschen umgeht, die nicht „System-Konform“ sind, aus dem System ausbrechen wollen und nicht mehr nach 08/15 funktionieren. B. bricht immer wieder in einen Weinkrampf aus, kann kaum ihre Tasse Tee halten und sagt immer wieder, Zitat: „Vielleicht ist Jesus grade so beschäftigt, dass er für mich keine Zeit hat“. Mir zieht es den Hals zu und kann jetzt nicht auch noch zu weinen beginnen, dann ist B. nicht geholfen. Sie erzählt von den Bosheiten ihrer Familie gegen sie, wo ich nur noch den Kopf schütteln kann. Ich gebe B. eine Karte mit und bitte sie, mich anzurufen, wenn sie glaubt, dass sie mir vertrauen kann. Wahnsinn, Sabrina und Christian sind sprachlos, wie ich. Ich rede B. noch gut zu und bitte sie, keinen unüberlegten Blödsinn zu machen und sich, wenn die Zeit bereit ist, zu melden.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll, B. hat mich absolut am falschen Fuß erwischt, ich habe mit so einer Situation nicht gerechnet, nicht jetzt. Ich sitze im Transporter und kann noch nicht wegfahren, kämpfe ebenfalls mit meinen Tränen und meiner Fassung. Christian bietet mir an zu reden, wenn ich das möchte. Nicht jetzt, lieber Christian.
Wir fahren zum alten Postzentrum, wo mir gesagt wurde, dass ein neuer Obdachloser schläft. Wir gehen durch, finden nur leere Flaschen und einen Einkaufswagen mit einer Tasche voller Kleidung, aber anzutreffen war niemand. Also weiter zum Bahnhofspark, wo wir ebenfalls ein paar unserer Schützlinge treffen, ein kurzer Plausch dann schauen wir in die Bahnhofshalle, ob sich jemand aufwärmt, dort. Niemand da, also weiter in die Finanzgarage, wo wir auch verstreute Kleidung finden, auf der jemand schläft, aber ebenfalls niemand anwesend ist. Neben vielen angeheizten Alufolien, die herumliegen und vom exzessiven Drogenkonsum zeugen, aber von Obdachlosen nichts zu sehen hier.
Also zurück zum Bus, und ab ins Terminal, wir bleiben bei Gaby stehen, die nicht da ist. Wir gehen vor zu Lenny und Andy, die mir beichten, dass Felix bei ihnen schläft. Felix der letzten Winter in einer unserer Wohnungen bleiben durfte, 5 Monte lang, und die ganze Wohnung verwüstete, den neuen Vinylboden mit über 100 Brandlöcher beschädigte, aus dem Mauerwerk im Vorratsraum ein etwa 60cm Eck herausgebrochen hatte. Der gesamte Schaden war groß und Felix hat mich dauernd angelogen und mir Fotos von der Wohnung geschickt, die beim Einzug gemacht wurden. Als ich auf Felix‘ Lügen draufkam, war es zu spät und ich zog die Reißleine. Wir hatten kein Glück mit unseren Wohnungen damals, drum gaben wir alle 3 Wohnungen wieder zurück, weil wir diese nicht 24/7 kontrollieren konnten.
Zuerst kam Felix im B37 unter, doch dort flog er nun auch wieder hinaus und ist wieder auf der Straße, mit 26 Jahren und keinem Deka an Motivation oder Hoffnung. Ich jedenfalls habe Felix damals, weil er mich mehrere Wochen angelogen und betrogen hatte, jede weitere Hilfe gestrichen. Darum ist er heute, als er unseren Bus ins Terminal einfahren sah, getürmt und versteckt sich, und zieht jetzt gerade den jungen Andy mit hinein. Ich erzähle Andy, dass er gut aufpassen solle, weil Felix noch jeden in sein Unglück gezogen hat und danach nichts mehr von sich hören ließ. Andy ist 24 und seit etwa einem guten Monat auf der Straße, und alle schlafen bei Lenny am Terminal.
Als wir bei Lenny und Andy sind, kommen zwei junge Mädel mit einem Trolley und verteilen warme, selbstgemachte Lebensmittel, und fragen, was wir so machen. Ich erzähle den Mädels was wir so machen und sie kommen mit zum Bus, weil auch Lenny einen heißen Tee möchte, den wir im Bus haben. Andy ist aus dem Terminal zu Felix gegangen und lässt sich nicht mehr blicken. Beim Bus erzählt uns Lenny, dass Gaby verhaftet wurde und niemand weiß was passiert ist. Wir verteilen zuerst Lebensmittel an alle Wartenden und alle bekommen auch 2 Zigaretten sowie heißen Tee. Die 2 Mädels sind 16 Jahre jung und wollen sich nach Rücksprache mit ihren Eltern, bei uns zwecks Mitarbeit melden. Ich freue mich riesig.
Dass Gaby verhaftet wurde, wird mir erst auf dem Gang in die Bahnhofstiefgarage bewusst, wo wir diesmal 2 Päckchen Drogen und Drogenbesteck in den Kästen finden, wo die Feuerwehrschläuche drinnen sind. Wir legen sie zurück und gehen weiter. Obdachlose finden wir auch keinen, also zurück zum Bus, wo wir davon ausgingen, dass das mit Gabys Verhaftung stimmt, wir suchten nach Gabys Unterlagen, damit diese nicht wieder verloren gehen, wenn der Müllwagen des Magistrats kommt und alles mitnimmt. Wir finden Gabys Tasche mit den Unterlagen, in dem Moment kommt Gaby langsamen Schrittes auf uns zu. Ich sagte ihr, was Lenny erzählte, sie wüsste nichts von einer Verhaftung, ich gebe ihr ihre Taschen zurück und entschuldige mich bei ihr. Gaby mag noch heißen Tee und frische, neue Unterwäsche, danach brechen wir auf.
Auf zu Tony, in die Wiener Straße, Tony freut sich jedes Mal, wenn er mich sieht, er hat noch nicht geschlafen und steht mit langer Unterwäsche, mit dicken Plüschsocken und einer Mütze mit Quaste vor uns und wird sich wohl nach dem Becher heißem Tee wieder niederlegen. Tony ist weit über 70 und ein so froher und glücklicher Mensch, obwohl er nicht viel hat und nichts besitzt. Und das Dach übern Kopf macht ihn mehr als glücklich, weil er nicht mehr sein gesamtes Hab und Gut mitschleppen muss. Wir wünschen Tony eine gute Nacht und fahren zu Michel, der heute wieder nicht da ist und der Nachbar von der anderen Seite der Autobahnunterführung ist ebenfalls nicht da ist, also weiter, mittlerweile ist es 21.15 Uhr.
Ab nach Dornach ins DüK zu Peter, der uns herzlichst begrüßt aber nichts braucht. Wir lassen ihn wieder alleine, er wolle schlafen gehen, meinte Peter. Also wieder zurück nach Linz, eine Dom Runde und dann zum Brucknerhaus, wo wir Florian antreffen, der aber nichts braucht. Das Bruckneraus ist rundherum belagert von Ballbesuchern, wir schmuggeln uns durch die Menge, auf die Rückseite, wo wir heute den leeren Schlafsack finden, aber niemand hier ist. Der Lärm rundherum von den Ballgästen ist enorm, wir suchen wieder das Weite.
Auf die andere Seite der Donau, unter die Nibelungenbrücke, wo auch niemand mehr ist. Also weiter zur Pause, zur OMV Tankstelle Hafenstraße, wir freuen uns auf Kaffee und Käseleberkäsesemmerl. Sabrina ist von der Tour mehr als erstaunt und findet zu manchem kein Wort mehr. Wir unterhalten uns über viele Eckpunkte der Linz-Tour bevor wir zu Gerald und Franziska fahren. Die Pause an diesen Abenden genießen wir immer sehr, sie bringt etwas Abstand zwischen unseren Schützlingen und uns.
Ab zu Franziska und Gerald, der auch heute wie bei den letzten Besuchen wieder alleine da ist. Franziska ist wieder nicht da, auch keine Spur von Emma, Franziskas Bett ist so aufgeräumt, wie ich ihr Gästebett noch nie gesehen habe. Ich vermute Franziska schläft hier gar nicht mehr, werde mich umhören was los ist mit ihr. Also um die Ecke zu Gerald, mit der Teekanne und Zigaretten, auf die er sich immer sehr freut. Gerald fragt nach wie das Ergebnis beim Skifahren war. Ich weiß nicht welches Skifahren er meint, dann meint Gerald: „Im Jänner, das in Tirol“. Er meinte die Abfahrt von Kitzbühel. Ich erzählte ihm, dass 2-mal der gleiche gewann, worauf er herzliches Lächeln in sein Gesicht zauberte. Wir vertschüssen uns wieder und wünschen Gerald alles Gute.
Weiter zum Pleschingersee, wo wir vielen Feldhasen begegnen, vereinzelt stehen Autos herum mit „Notbeleuchtung“, die scheinbar auf etwas warten. An der Haltstelle ist niemand und am Campingplatz ebenfalls nicht. Also zur nächsten Haltstelle, Fernheizwerk und Industriezeile, wo wir das DüK 3 suchen, es aber nicht finden. Ich werde mich erkundigen, wo das aufgestellt ist, es wurde uns geflüstert beim Bauhaus, dort aber wurden wir nicht fündig.
Heute, Fasching-Samstag ist viel Verkehr, unüblich, auch viel Polizei ist unterwegs. Wir aber haben 23.30Uhr auf der Uhr und brechen auf ins Lager nach Ansfelden, wo wir die heutige Tour beenden. In denke immer an B., dass es ihr hoffentlich besser geht und der Weinkrampf sich löste. Die arme Frau ist hilflos und sieht keinen Ausweg aus ihrer kaputten Welt. Ich wünsche mir, dass sich B. bald meldet und wir einen Plan machen können, wo wir mit dem „Aufräumen“ beginnen. Sabrina ist von Gerald so angetan, dass sie ihn am liebsten mit nach Hause nehmen würde, das aber absolut nicht geht. Wir tüfteln an Lösungen und werden diese das Nächste Mal nochmal besprechen, vielleicht finden wir einen noch nicht gedachten Weg, wie wir schneller helfen können. Mal schauen.
Im Lager angekommen räumen wir alles wieder ins Lager und reden noch, Christian ist müde, ich auch, mein Tag geht schon seit 6 Uhr früh und ich habe seither keine Minute geschlafen. Ich bringe die Beiden noch zur Metro, wo ihr Auto steht, bei der Abfahrt Franzosenhausweg macht die Polizei Kontrollen, wir können weiterfahren und werden nicht angehalten.
Danke liebe Sabrina, lieber Christian für die Begleitung und Hilfe, bei mir wird’s heute noch bis 4 Uhr früh dauern, bis ich die nötige Ruhe habe, ins Bett gehen zu können. Ich bin traurig und etwas wütend, über die Situation von B.. Es kann nicht sein was nicht sein darf, so sieht es ihre Familie, anstatt dass sie sich selbst überzeugen, würden von den Aussagen mancher Schreibtischtäter.
Danke an all unsere Spender:innen, dass wir auch hier wieder helfen durften und eure Spenden direkt an die Menschen austeilen durften.
Vergelt’s Gott und habt großen Dank!