Ich will Eure Hilfe nicht!
Nach dem ersten...
...wirklich arbeitsreichen Spendenannahme-Samstagvormittag in unserem Lager, der uns allen körperlich ganz schön auf die Pelle rückte, war am Abend die Linz-Tour zu den Hot Spots angesagt. Leider musste Rudi, der ursprünglich eingetragen war als Beifahrer für diese Tour, absagen, so fuhr Miriam die Tour mit.
Am Nachmittag heißen Tee machen, ohje, Becher im Lager vergessen. Also zuerst duschen und Tee brauen, dann schnell ab ins Lager, Becher holen und dann Miriam in Auwiesen treffen. Bei der Fahrt ins Lager fiel mir natürlich die Teekanne um und floss halb aus, also schnell den Bus herauswischen und alles wieder trocken legen, Becher orten und ab, nach Auwiesen. Dort wartet Miriam schon und wir fahren nur die paar Meter von der Straßenbahn-Haltestelle zu unserer Wohnung, wo immer noch Rudi wohnt, noch bis 30.11.2022. Dann zieht er wieder zu seinem Bruder, mit dem er sich wieder versöhnt hat. Ab da können wir jemand neuen in die Wohnung geben, weg von der Straße und Weihnachten in einer warmen Wohnung „genießen“. Rudi hat schon mit dem Reinigen der gesamten Wohnung begonnen, die Schlüsselübergabe findet am 30.11. statt.
Danach fahren Miriam und ich in unsere 2. Wohnung, in die Wiener Straße, wo Pascal Schutz und Herberge gefunden hat. Pascal hat seine Kleidung auf dem großen Bett gestapelt, und die Heizkörper glühen vor Hitze, ich drehe diese zurück und erkläre ihm, wenn er die Fenster kippt, die Heizkörper unbedingt zurückzudrehen, sonst gibt es eine unliebsame Ernüchterung in Sachen Nachzahlung. Pascal hat am Mittwoch begonnen zu arbeiten, auf einem Praktikumsplatz bei einem Steuerberater. Wenn er sich dort gut entwickelt, wird er übernommen, ansonsten steht er wieder vor dem Nichts. Ich mache Pascal darauf aufmerksam, was alles an dieser Arbeitsstelle hängt, aber leider quittiert er meine Aussage wieder nur mit Ausreden und Floskeln. Ich bin gespannt, was er aus seiner Chance macht und wie er sich an unsere Abmachungen hält.
Von Pascal fahren wir zur Autobahnunterführung, wo Jürgen, Tony und Michael schlafen. Nebenan ist immer noch der Zirkus, der volle Pulle laute Musik spielt, es dröhnt bis hierher. Jürgen klärt mich auf: „Bis morgen noch, dann reisen sie weiter“, auch gut. Tony kommt grade vom Bahnhof, er hat seinen Trolley dabei, und Michael ist nicht da. Gottseidank sonst hätte ich ihm sagen müssen, dass er seinen Saustall zusammenräumen muss, weil hier auch 2 andere Menschen schlafen und keine Lust haben, von Ratten attackiert zu werden. Aber von Michael kommt auch immer die gleiche Aussage: „I bin hoid obdachlos, und daun schauts so aus“. Debatten mit Michael bringen gar nichts, außer dass er aggressiv wird. Tony hätte gerne etwas zu trinken, er kommt mit zum Bus, nimmt auch für Jürgen etwas mit. Tony ist immer sehr dankbar, für jede noch so kleine Spende. Wir brechen auf, zur nächsten Station, Schillerpark.
Dort angekommen, zeigt das Verkehrsaufkommen, dass Weihnachtsmarkt ist. Stau in allen Straßen rund um den Schillerpark und Volksgarten. Miriam und ich gehen eine Runde im Schillerpark, niemand hier, also gehen wir gleich weiter zum Volksgarten, ohne einen neuen Parkplatz zu suchen. Im Volksgarten, diesen Menschenmassen wollten wir eigentlich nicht begegnen, aber wir mussten zum Stand von Kurt Traxl, etwas besprechen. Leider war Kurt nicht da, also gehen wir zurück zum Bus, Obdachlose haben wir weder am Weihnachtsmarkt noch in der Nähe gesehen.
Also weiter zum Bahnhof. Alles zugeparkt dort, wir finden noch eine kleine Lücke. Zuerst der Bahnhofspark und dann die Tiefgarage. Auch hier viele, viele Betrunkene, die durch die Gegend stolpern ohne Rücksicht, und, denen man ankennt, woher sie kommen, nämlich aus dem Volksgarten.
Wir fahren weiter ins Terminal und parken bei Gaby. Von Weitem sehe ich Felix, der vor 5 Monaten gemeinsam mit Marcel verhaftet wurde, damals erzählte man uns, wegen Raubüberfall. Felix erzählt uns, dass damals ein amtsbekannter Türke die Polizei gerufen hat, und bei der Polizei einen schweren Raub anzeigen wollte, wegen 1 Packung Zigaretten und €10,-, die der Türke aus seiner Tasche gestreut hat und behauptete, dass Marcel und Felix das Geld geraubt hätten, dabei haben 2 Zeuginnen gesehen, wie sie das Geld zurückgaben und die Zigaretten aufgehoben und eingesteckt haben. Der Türke hatte das aber bei der Polizei völlig anders dargestellt, worauf die Polizei die Beiden wegen Raub verhaftete. Felix wurde wegen der Ohrfeige, die er an den Türken abgab, zu 5 Monaten Haft, die er mit der Untersuchungshaft abgesessen hatte, verurteilt, und Marcel war ja vorbelastet, bekam 1,5 Jahre. Weil hier zwar eine Ohrfeige mit im Spiel war, aber sonst keine Gewalt oder gar Raub, wurde Felix freigelassen. Jedenfalls möchte Felix jetzt ein neues Leben beginnen, er hat noch das Zimmer bei der Pro Mente, aber mit massiven Mietrückständen. Ich mache Felix klar, dass er endlich aufstehen muss und endlich aus seinem Leben etwas machen muss. Auch er kommt mit lauter Floskeln und Ausreden, er hatte schon viele Chancen bekommen, und keine genützt. Ich bin gespannt, wie er sich künftig bemühen wird.
Neben Felix sitzt ein Bosnier, der 9 Jahre in Österreich als Eisenflechter gearbeitet hat und dem dann die Arbeitsgenehmigung aberkannt wurde. Er erzählt uns, dass er bei der Strabag arbeiten könnte, aber er hat keinen Hauptwohnsitz und keine Aufenthaltserlaubnis und auch keine Arbeitserlaubnis. Ich versuche ihm zu erklären, dass er zuerst eine schriftliche Zusage der Strabag braucht, dazu einen Hauptwohnsitz, dann könne er wieder um gültige Papiere ansuchen. Plötzlich lächelt er und hat wieder Hoffnung. „Meine Frau und meine 3 Kinder sind in Bosnien und ich kann kein Geld nach Hause schicken, die Kinder frieren, haben Hunger und er könne hier nicht weg, er wolle hier arbeiten“. Ich mache ihm klar was passiert, wenn er dabei erwischt wird, wenn er illegal schwarz arbeitet und er erwischt wird, dann hat er alle Chancen hier zu bleiben, verpasst. Ich habe den Eindruck, dass er das gar nicht möchte, aber zurzeit keinen Ausweg findet, es ist ihm kalt und er hat auch Hunger. Wir bitten alle zum Bus und teilen zuerst heißen Tee aus, den alle gerne nehmen. Wir packen für unsere Schützlinge, die den Weg heute hierher gefunden haben, etwas ein damit niemand mehr hungern muss. Alle sind glücklich, dass wir heute hier sind und Lebensmittel und warme Jacken mithaben. Gaby braucht eine neue Winterjacke, der Reißverschluss an der alten Jacke ist kaputt.
Nachdem alle versorgt wurden, gehen Miriam und ich die Runde in den Fahrradkeller, wo immer einige Obdachlose liegen. Heute begleitet uns die ÖBB Security, die uns immer gut gesinnt sind und uns von manchen Obdachlosen am Bahnhof erzählen. Im Fahrradkeller finden wir jedoch niemanden, auch nicht in der Tiefgarage. Also zurück zum Bus und ab zur nächsten Station.
Brucknerhaus! Bei der Ankunft kommt uns schon der Nachtportier entgegen und erzählt uns, dass Florian von uns nicht mehr besucht werden will, ich entgegne: „Das möchte ich von Florian selbst hören.“ Wir gehen rüber zu Florian, der gerade seine Plane richtet, und da bittet er uns darum, ihn nicht mehr zu besuchen. Auch gut sage ich. Wie es schon öfter vorkam, kontaktiert er dann, wenn er wieder etwas braucht, die Damen im Brucknerhaus, die behilflich sein möchten und uns kontaktieren. Wir sollen dann immer auf schnellstem Wege die benötigten Dinge besorgen und ihm bringen. Wir möchten den Menschen auf der Straße helfen, aber zum Hampelmann lassen wir uns nicht machen. Wenn in absehbarer Zeit wieder ein Anruf aus dem Brucknerhaus kommen sollte, werde ich entsprechend antworten und Florian dann mit seiner heutigen Aussage erneut konfrontieren. Es kann nicht sein, dass jemand, weil er grade lustig ist, so herumkommandiert, das Spiel machen wir nicht mit. Wir werden Florian nicht fallen lassen, wenn er wieder etwas braucht, aber auf diese Art wie bisher, werden wir ihn nicht mehr versorgen. Wir haben extra Crogs und Jogginghosen für ihn gekauft, haben immer seine Wünsche berücksichtigt und mitgebracht, und dann sagt man uns aus heiterem Himmel: „Lasst mich in Ruhe“. Wir akzeptieren und respektieren seinen Willen.
Also weiter zur nächsten Autobahnbrücke, zu Franziska und Gerald. Als wir uns nähern, hören wir weitere Stimmen und sehen dann K., Franziskas Tochter und B. Franziskas Sohn, die zu Besuch sind. Emma winselt laut und möchte mich begrüßen, sie ist aber an der Leine festgemacht und kann nicht rüberkommen. Franziska erzählt uns, dass es Gerald nicht gut geht, da er weder duschen noch essen geht, in eine der Obdachlosen-Einrichtungen. Das Essen würde Franziska für Gerald bezahlen, ab und zu nimmt sie Gerald eine warme Mahlzeit mit, die er dann auch genüsslich isst, aber er selbst bemüht sich mit keiner Bewegung, selbst etwas in die Wege zu leiten. Gerald ist in seiner tiefen Depression gefangen und kommt nicht heraus, er weiß sich nicht zu helfen und lässt sich an schlechten Tagen, auch über weite Strecken nicht helfen. Wir geben Gerald ein paar Zigaretten, und Franziska kommt mit zum Bus, da sie Lebensmittel braucht und Kartuschen für den Campingofen. Beim Bus reden wir noch über all die Belastungen beim Leben auf der Straße, aber auch Franziska hat so ihre Probleme, sich helfen zu lassen. Wir zwingen auch niemandem etwas auf, wenn jemand nichts will, ist das genauso gut, wie wenn jemand Lebensmittel braucht. Miriam ist tief beeindruckt von Franziska, hinterher wird Miriam mir erzählen, dass sie ziemlich geflasht ist von der Begegnung mit Franziska, Miriam kann es nicht verstehen, dass Franziskas Kinder hier zu Besuch sind und nichts gegen die Situation um ihre Mutter, unternehmen. Franziska glaubt halt immer, sie braucht keine fremde Hilfe, sie schafft alles alleine, was sie aber seit Jahren nicht schafft.
Es beginnt zu regnen und es ist schon 21.50 Uhr, Miriam erzählte mir von Obdachlosen unter der Nibelungenbrücke, dorthin fahren wir jetzt. Wir gehen die Gegend ab, finden aber niemanden. Nur die Spuren sind sichtbar. Also auf, zum nächsten Halt, Pleschingersee, der auch heute abgesperrt ist, Günther dürfte also immer noch im Krankenzimmer liegen, da hier sonst offen wäre. Ein paar Autos parken rundherum, mit auffälligen Absichten und teilweise roten Lichtern in den Autos. Wir suchen das Weite und „flüchten“, in die Industriezeile, zum letzten Halt für heute. Auch dort ist niemand zu finden.
Die Beine schmerzen, der Rücken tut weh und ich bin todmüde, mein Tag geht ja schon seit 5.30 Uhr heute früh, also brechen wir auf Richtung Lager, wo wir alles ausladen und wieder einlagern. Miriam erzählt mir von ihrem Gefühl, das sie grade hat, das Schicksal um Franziska geht ihr sehr nahe. Wir reden drüber und laden nebenbei alles aus. Dann zeige ich Miriam, die heute zum 1. Mal hier ist, unser Lager. „So groß habe ich es mir nicht vorgestellt, beeindruckend“.
Miriam bietet mir ihre weitere Hilfe an, wenn mal wieder Not am „Mann“ wäre, darf ich sie anrufen. Um knapp vor 23Uhr setze ich Miriam in Linz ab und fahre heim, fertig, ausgelaugt, teilweise überdreht, und mit den heutigen Erfahrungen kämpfend. So eine Linz-Tour ist halt keine leichte Sache, die man so leicht abwerfen kann. Ich denke noch viel nach und werde erst gegen 4 Uhr früh ins Bett gehen können, weil es in meinem Zustand keinen Sinn macht, hellwach im Bett zu liegen und mit dem Schicksal unserer Schützlinge zu ringen. Ich suche Wege, neue Wege, ich suche nach Lösungen, ich suche nach Möglichkeiten, aber zurzeit geht weder eine Tür auf noch sonstige Chancen. Es ist eine triste Zeit, mit wenig Hoffnung für die Menschen und noch weniger Förderungen dieser Menschen. Sie lässt man sich selber über und quasselt irgendwas von: „Sie wollen doch gar keine Hilfe“, was gar nicht stimmt. Alle wollen Hilfe, aber eben eine angepasste, individuelle Hilfe, einen Weg den sie mit Hilfe gehen können. Stattdessen drischt man verbal auf die Menschen ein und wirft sie dem Schicksal erneut vor die Beine. Es ist einfach unterirdisch, wie man hier in Linz mit Obdachlosen umgeht. Es spottet jeder Beschreibung und man setzt die Menschen dem reinsten Hohn aus, wenn die Stadt Linz diesbezüglich auch nur den Mund aufmacht. Traurig! Aber ich möchte nicht wieder in ein politisches Thema abgleiten, ihr wisst mittlerweile ohnehin, was hier in Linz so passiert und, was eben nicht passiert.
Ich bedanke mich herzlichst bei all unseren Spender:innen, dass wir auch diese Linz-Tour fahren durften, dass wir auch hier wieder helfen durften. Vergelt’s Gott und habt großen Dank. Euch allen einen erholsamen Sonntagabend und alles liebe. :-) <3
Die Bilder in diesem Beitrag sind alten Ursprungs!