So schnell geht’s!
Unser Spendenannahmetag im Lager...
...Samstagvormittag war sehr ruhig, da uns kein einziger Spender/in besuchte. Wir hatten zwar genug Arbeit im Lager, so dass uns nicht langweilig war, im Lager ist immer Arbeit, immer etwas zu tun. Und unser Team heute war wieder so grandios drauf, wir hatten riesigen Spaß. Maria, unser langjähriges Teammitglied besuchte uns heute im Lager und half gleich tatkräftig mit, Maria ist immer eine große Bereicherung, in jeder Situation. Auch unser Freund McChristian war nach langer Zeit wieder im Einsatz bei uns, was uns alle sehr freute.
Bei Halbzeit des Vormittags stand plötzlich ein Mann, um die 35 Jahre alt, ich nenne ihn jetzt einmal Martin*, in unserer Tür und erklärte uns seine trostlose Situation. Er arbeitet bei einer großen Bank in Linz im Backoffice, kam durch die Scheidung vor 1 Jahr in eine bescheidene Lebenslage. Er hat monatlich über € 800,- an Unterhalt an die Ex-Frau zu leisten, die er auch gerne bezahlt. Martin* suchte sich eine kleine Wohnung für die er monatlich etwa € 400,- zu zahlen hatte: „Das geht sich aus, mit € 400,-, das kann ich mir leisten“. Nun aber kam vor 3 Monaten eine Zahlung über einen hohen Betrag ins Haus geflattert, für die er keine Ratenzahlung bekam, deshalb konnte er kurzzeitig die Miete nicht zahlen, somit war ihm die Delogierung sicher. Er lebt nun bei einem Freund, doch der Vermieter dort duldet keine 2. Person in dessen Wohnung, und somit muss Martin* schnellstens raus dort. Sein einstiger Hauptwohnsitz besteht auch noch, damit der Arbeitgeber nichts von seiner Obdachlosigkeit bemerkt. Jetzt aber geht es nur noch um ein paar Tage, die Martin* vom Vermieter seines Freundes als Frist zum Auszug bekam. Martin* brachte uns zu Weihnachten noch 80 Weihnachtsgeschenke für unsere Schützlinge, und jetzt braucht Martin* selbst Hilfe. „Ich kann es immer noch nicht begreifen, wie schnell das alles ging, wie schnell ich obdachlos wurde“, und beginnt zu weinen. „Ich habe mir nie gedacht, je in so eine Situation zu kommen, habe immer geholfen und dann komme ich durch einen blöden Umstand in diese Lage und sitze auf der Straße“.
Ja, liebe Leute, es geht oft sehr schnell und die Spirale beginnt sich zu drehen und wird immer schneller, immer tiefer und unaufhörlich. Die wenigsten Menschen glauben, dass ihnen so ein Schicksal ereilen könnte, erst wenn die Probleme dann in 2-3 Tagen größer und größer werden, und man nichts mehr dagegenhalten kann, dann kommen erste Befürchtungen, in welche Richtung es gehen könnte, doch wenn man das erkennt, ist es meist schon zu spät, ein Gegenlenken nicht mehr möglich. Viele Menschen sagen: „Das kann mir nicht passieren, ich habe Familie oder Freunde, die mir helfen und mich auffangen“. Ja, in einigen Fällen trifft das ganz sicher zu, und der Rest muss den Tatsachen ins Auge schauen, dass die Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit droht. Aber liebe Leute, treffen kann es wirklich JEDE/N, niemand ist sicher vor so einer Situation.
Unsere Beate wohnte dem Gespräch mit Martin* bei und sagte ebenfalls gleich, dass wir hier sofort helfen, weil es wichtig ist solche Menschen noch aufzufangen, solange es noch geht. Martin* kommt also ins Zimmer nach Urfahr und ist vorerst nicht mehr bedroht von Obdachlosigkeit und dem Leben auf der Straße. Bedrückt verabschiedet sich Martin* wieder, glaubt es kaum, dass wir Wort halten und ihm ein Zimmer zur Verfügung stellen. Aber auch für uns wird es zunehmend schwieriger, Zimmer in einer vernünftigen Preisklasse zu finden, wir können keine hochpreisigen Mieten bezahlen. Die Beispiele von Thomas, Vladi, Markus und Tara zeigen uns, dass es richtig ist, auch solche Hilfe anzubieten, alle 4 gehen brav arbeiten und sind auf einem guten Weg, zurück ins Leben. Für uns als kleiner Verein eigentlich eine große Sache, dass wir insgesamt einige Menschen von der Straße holten und ihnen eine echte Chance gaben. Markus sagte die Tage zu Barbara, dass er unendlich dankbar ist, weil, niemand hätte mehr an ihn geglaubt und ihm noch geholfen. Ein sehr schönes Lob.
Unser Spendenannahmetag geht ohne neue Spenden an uns, ins Finale. Hier dürfen wir unsere Freundschaften pflegen, schauen uns alte Fotos von unseren Anfängen an, als wir den Verteil-Donnerstag 2018 ins Leben gerufen haben. Viele lustige Geschichten werden erzählt, vielleicht ergibt sich irgendwann die Möglichkeit, ein Fotobuch über die Entstehung und Entwicklung unseres Vereins, mal schauen. Schon witzig, wie sich alleine unser Verteil-Donnerstag entwickelte in den letzten Jahren. Wir genossen diesen gemeinsamen Nachmittag sehr, und hier ein großes VERGELT’S GOTT und DANKESCHÖN für diese großartige und besondere Spende für unser Team.
Um 17.10 Uhr verabschiedeten wir uns, ich musste heim, Tee kochen, für die Linz-Tour heute Abend, um 18 Uhr ist Abfahrt. Jutta fährt heute mit und wird mich unterstützen. Heißer Tee, Nächtigungsjetons und die Brote, die uns Dieter aus unserem Mittagsessen belegt hat, haben wir mit eingepackt. Zuerst Schillerpark, dann Volksgarten, und dort treffen wir Elvisa, Christoph, Udo und andere Obdachlose. Wir sind im Gespräch mit ihnen, da schreit dauernd von der Parkbank nebenan der Chef der Bettlerbande herüber und beleidigt mich, er schreit aggressiv in meine Richtung, ich reagiere nicht und sage unseren Schützlingen, wo unser Bus steht, wir gehen die Runde noch fertig und sie sollen zum Bus kommen, dann bekommen sie etwas zu essen. Beim Bus stehen 5 Obdachlose da und bitten um Hilfe, die wir gerne in Eurem Namen leisten. Lebensmittel und Hygieneartikel und eine warme Jacke, alles was benötigt wird haben wir auch dabei. Danach geht es zum Bahnhofspark, eine Runde dort und wir treffen doch einige unserer Schützlinge, Oliver, Mandi, Thomas, Peter, Simon u.a.. Mandi braucht dringend einen Schlafsack, er darf nicht mehr in die Notschlafstelle, ich frage ihn nicht, warum er Hausverbot hat. Mandi ist 73 Jahre und hat einen ziemlich schlechten Gesundheitszustand, der Alkohol zeigt hier seine Fratze so deutlich. Carmen (die auch immer wieder den Obdachlosen hilft) geht mit zum Bus, ich händige ihr einen gebrauchten Schlafsack aus, Mandi kann nicht mehr gehen, ist verletzt am Fuß.
Wir fahren die paar Meter weiter zum Terminal, bei Gaby bleiben wir stehen und sehen schon die Menschentrauben bei 2 Wartekojen. Wir verteilen zuerst die Brötchen mit Schnitzel, mit Schweinsbraten und Streichkäse, die 2 mitgebrachten Schachteln sind im Nu aufgegessen, Wahnsinn, wie schnell das ging jetzt. Alle werden anschließend noch versorgt mit dem Nötigsten. Zwischendurch kommt das Überfallkommando der Polizei und erkundigt sich bei uns über eine Weißrussin, die gesucht wird. Ich rufe unsere Beate an, die jeden Donnerstag die Computerarbeit macht und die Namen kennt, doch diesen hörte sie noch nie. Name ist notiert und wird, so wir in Berührung kommen mit dieser Person, an die Polizei weitergegeben.
Ich sehe von weitem unseren Affi, der mit einem großen, blauen Auge zu uns kommt und um eine Decke bittet, weil er wieder draußen schlafen muss und ihm jedes Mal der Schlafsack gestohlen wird, deshalb bekommt er keinen Schlafsack mehr, aber mehrere warme Decken und eine Isomatte. Auch Günther, der noch bis vor kurzem in einem Zimmer war und dort gewaltigen schaden anrichtete, steht plötzlich vor mir und sagt: „Walter, bitte, ich habe großen Hunger, bekomme ich etwas zu essen, bitte?“ Aufgeschwemmt im Gesicht, mit einem Plastiksackerl ausgestattet setzt er sich auf eine Bank und isst mit großer Hast die Brote, die ich ihm gab. Er dürfte mehrere Tage nichts zu essen gehabt haben, so wie er sich die Brote reinstopft. Ein junger Mann, der direkt vor mir steht und eigentlich sein Plastiksackerl voller Essen schon bekam, sieht immer wieder etwas Neues was er auch noch möchte, nach dem gefühlten 10. Mal fordere ich ihn auf, auch den anderen etwas zu gönnen, er ist nicht alleine hier. Er tritt dann in die 2. Reihe, hört aber nicht auf jetzt von dort die Ausgabe zu stören, mit Nachdruck sage ich ihm nochmal, dass auch die anderen Schützlinge, Hunger haben. Tony, der Sir, genießt das Schnitzelsemmel in vollen Zügen, klar, so etwas bekommen unsere Schützlinge nur ganz selten, aber heute ist so ein Tag. Alle sind überaus dankbar und zufrieden, bekunden ihr Lob an unsere Aktion mit einem: „Ihr seids a Wahnsinn, ihr seids die Besten“. Franziska und ihre Emma kommen ebenfalls zum Bus und bitten um eine Jause, die ich ihr auch gebe.
Michael* kommt verspätet zum Bus, er bat mich um eine Übergangsjacke und einen Gürtel, und um ein Gespräch. Er möchte weg vom Alkohol, ernsthaft, möchte weg von der Straße, ich biete ihm an, Dienstag zwischen 10 und 12Uhr am terminal zu sein, da können wir ungestört reden und ich kann bis dahin alle Möglichkeiten überdenken, die ich Michael anbieten könnte. Michael ist 36 Jahre jung und eigentlich ein sehr engagierter Mann, er passt auf Gaby und alle anderen auf, damit nachts nicht gestohlen wird, sieht nach dem rechten und setzt sich sehr für Schwächere ein. Am Dienstag wird sich herausstellen, wie ernst Michael* es meint mit seinem Ausstieg aus dem Alkohol und der Obdachlosigkeit.
Nach fast 2 Stunden am Terminal brechen wir Richtung Bulgari Platz auf, wo unter einer Brücke 4 Obdachlose schlafen. Deren Schlafplatz jedoch ist verlassen und es schlafen jetzt 2 junge Rumänen dort, die kein deutsch sprechen. Wir schauen uns noch um, finden aber das Schlaflager nicht mehr. Also weiter zu Florian, an die Donaulände. Florian kommt uns schon entgegen und bittet um eine Jogginghose, um gestrickte Socken und einen Pullover. Stillen Schrittes und leisen Danks geht Florian zurück, unter seinen Baum, wo er schläft. Wir gehen noch rund ums Gebäude, aber die anderen Schlaflager sind ebenfalls nicht mehr da.
Also weiter zu Gerald, unter die Autobahnbrücke. Gerald nimmt den heißen Tee jede Woche liebend gerne an, ebenso die paar Zigaretten, die ich an alle austeile, die wir nicht kaufen, sondern die gespendet wurden. Wir wünschen Gerald noch alles liebe und fahren weiter nach Urfahr. Zu Markus und Johanna, Vladi hat Nachtschicht und ist nicht im Zimmer. Markus und Johanna sind mit Johannas Hund Gassi und kommen gerade um die Ecke. Wir gehen rauf und schauen uns den Zustand der Zimmer an, schließlich haften wir für den Zustand der Zimmer. Alles aufgeräumt und gut, Markus lädt uns dann zu einem Tee ein, in dem Gespräch erzählt er mir dann, was er über kurz oder lang in seinem Leben ändern möchte, wie er sich sein Leben vorstellt, ich glaube ich muss ihn wohl sehr bald aus diesem „Traum“ herausholen. Markus träumt von einer größeren Wohnung und anderen schönen Dingen, doch das Leben zeigt sich gerade jetzt in dieser Zeit, von einer ganz anderen Seite, und Markus wird das einsehen müssen, dass seine Ziele nicht leicht zu erreichen sein werden. Aber ich lasse ihn reden, und etwas befremdend hör ich kritische Zwischentöne, die ich hier nicht kommentieren möchte. Das Leben und das Schicksal spielen nach einer anderen Regie, zumindest meistens, aber vielleicht erfüllen sich ja Markus‘ Träume, wünschen tu ich es ihm.
Nach fast 1 Stunde ist mir jetzt heiß geworden und wir brechen auf Richtung Gründberg, zu Tara. Tara ist krank und erzählt uns von ihrem Zustand und ihren Plänen, und davon, dass sie noch kein Datum gesagt bekam, an dem sie ausziehen muss, da ja alle Zimmer an Montagearbeiter vergeben werden. Rainer, der schwer krank ist muss Ende Mai heraus und hat bis heute keine Alternative. Ich schaue mit Hochdruck um eine Bleibe für Rainer, ich hoffe ich bekomme ein Zimmer für ihn. Ich bete zu Gott, deshalb.
Vom Gründberg aus steuern wir unseren letzten Halt heute an, ich bin müde und mein Tag geht ja schon seit 6 Uhr früh. Auch am letzten Standort finden wir niemanden mehr, da es mittlerweile regnet. Also brechen wir auf ins Lager, alles ausladen und wieder einlagern, Jutta verabschiede ich um 00.15 Uhr bei der Metro und fahre dann heim, völlig geschafft nach einem langen Tag, viel Arbeit und noch mehr Eindrücken. Euch allen noch einen schönen Abend und einen guten Start in die Woche, alles liebe!
Update vom Sonntag:
Martin* meldete sich heute Sonntagabend, ob das mit dem Angebot von gestern Samstag (mit dem Zimmer) wirklich wahr sei und er das auch wirklich glauben dürfe. Er kann es nicht fassen und ist überglücklich.