Was man so Armut nennt!
Verteil Donnerstag vom 1.4.2021: In den vergangenen Tagen…Wochen…Monaten, sagten immer wieder Menschen zu mir: „Walter, Du musst Pause machen, Du musst auf dich aufpassen, wenn’s dich umhaut steht alles und niemand hat etwas davon“.
Ja, stimmt, und ich spür' es jeden Tag, dass mein Körper nicht mehr mitspielt, mein Geist den Geist aufgibt und sonst noch einiges mit mir im Argen liegt. Aber was nützt es, wenn ich Pause mache und die Arbeit bleibt ungetan oder liegen und ich hinterher durch die Mehrarbeit mehr Stress habe? Niemandem, auch mir nicht. Es ist legitim zu sagen: „Pass auf dich auf“, aber für mich wäre es DER Super Gau, wenn wegen mir da draußen jemand friert oder hungert, das geht gar nicht! Deshalb, und NUR deshalb bin ich alle 2-3 Tage nachts in Linz zu den Hotspots unterwegs, deshalb machen wir jede Woche unseren Verteil-Donnerstag, deshalb beliefern wir Einrichtungen mit Spenden und deshalb übersehen wir die armen Menschen in Linz nicht. Auch wenn von vielen Seiten die Aussage kommt: „In Linz verhungert niemand“.Verhungern nicht, nein, aber es reicht, wenn jemand hungern muss, ein durch und durch unerträglicher Gedanke, genauso mit dem frieren, Erfrieren wird vermutlich nicht wieder so schnell jemand, aber es reicht, wenn jemand friert, ebenso unerträglich dieser Gedanke. Es ist kein Leben liebe Leute, wenn die Menschen auf dem kalten Beton, auf nasser Wiese, in dunklen, dreckigen mit Ratten besetzten Ecken ihr Dasein fristen müssen und keinen Fuß mehr ins Leben bringen. Vielleicht ist es mein ausgeprägtes „Helfersyndrom“, vielleicht meine große Angst, jemanden zu übersehen der Hilfe braucht?! Ich weiß es nicht, vermutliche eine Mischung aus Beidem. Ich aber habe gestern und heute ein Versprechen abgegeben, dass ich kürzertreten werde, weil ich es mir schuldig bin und damit nicht eines Tages alles stillsteht, weil ich nicht hören wollte. Ich gelobe Besserung.
Ich wurde heute gefragt, wann ist jemand „arm“? Nun, hierzu gibt es eine klare Aussage von der Statistik Austria (Quelle: Bild Ö3 Artikel). €1185,- ist die Armutsgrenze in Österreich für eine Einzelperson (Den Artikel gibt es bei den Fotos zu lesen). Auszug:
- 150.000 Personen leben in einem Haushalt, wo mindestens ein Mitglied einen Arzt oder Zahnarzt benötigen würde, diesen aber aus finanziellen Gründen nicht aufgesucht hat
- Knapp 400.000 Personen im Land können sich keine neue Kleidung leisten
- Ein Drittel der Kinder von arbeitslosen Eltern bekommen bei Bedarf keine neuen Kleider
- Etwa 300.000 Personen (53.000 Kinder) leben in Wohnungen, die nicht angemessen warmgehalten werden können bzw. haben Zahlungsrückstände, etwa bei der Miete
- Rund 90.000 Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 14 Jahren leben in einer überbelegten Wohnung
Die sollen zuerst einmal arbeiten gehen, sollen aufhören zu trinken, sollen dies und das machen“. Wenn ein Mensch keinen Wohnsitz hat, wird sich der „neue“ Arbeitgeber schwertun, ihn anzumelden. Alkohol ist bei vielen ständiger Begleiter, ja, aber ohne Alkohol das Leben auf der Straße zu ertragen, geht noch weniger. Wobei wir viele Schützlinge haben, die weder trinken, noch irgendwas mit Drogen am Hut haben. Wir haben Akademiker, Menschen mit Titeln wie Ing., Dr. oder Mag. auf der Straße, die sich auch ihr Schicksal nicht ausgesucht haben. Niemand ist gerne auf der Straße und ich habe in meinen 7,5 Jahren, die ich mittlerweile mit Obdachlosen „arbeite“, NIEMANDEN gehört der sagte „Ich bin gerne auf der Straße, das Leben auf der Straße gefällt mir“. Glaubt mir liebe Leute, das ist absoluter Nonsens, wenn jemand so einen Schmarrn behauptet, dass Obdachlose keine Hilfe annehmen. Sie nehmen alle Hilfe an, nur halt die Art Hilfe, die für sie erträglich ist, sie wollen sich in kein System mehr pressen lassen. Viele sind psych. Krank und schaffen es aus diesem Grund in keine Zukunft, schaffen es in keine Wohnung/Zimmer.
Wenn man die 4 Wände als Bedrohung empfindet und man permanent Angst hat, sollte man andere Wege der Hilfe ausarbeiten und nicht einfach behaupten: „Die wollen keine Hilfe“. Es muss ehrliche, an den Menschen angepasste Hilfe sein und nicht einfach eine, von ahnungslosen Schreibtischtätern verfügte Metapher die selbst nach Hilfe schreit. DAS, liebe Leute passiert gerade häufig, fast täglich. Unsere Schützlinge sind vielen ein Dorn im Auge und es ist Wahljahr in Linz, deshalb werden vielerorts Aufenthaltsverbote ohne Alternative ausgesprochen. Keine Aufenthalts-Alternativen anzubieten ist nicht nur nicht OK, sondern fast schon eine Hetze, sie von einem Park in den anderen zu verfolgen, von einer Bank zur nächsten verweisen, von einer Tiefgarage zur nächsten verfrachten.
Gaby, unserer Gaby geht es zurzeit so, in ihrer Abwesenheit werden ihre Dinge entsorgt, einfach weggeworfen, Lebensmittel, Kleidung, Schuhe, Schlafsack und Isomatten, immer, wenn Gaby kurz einmal weg ist von ihrem Schlafplatz am Terminal, wirft man ihre Sachen ungefragt weg. So eine Vorgehensweise ist einfach Menschenverachtend! Die Menschen, wie Gaby und andere Schützlinge, auf diese Weise am Terminal loswerden zu wollen. Warum werden 2 Obdachlose aus der 3. Etage Untergrund in einer absolut verlassenen Tiefgarage verjagt, obwohl sie nichts getan haben, niemandem geschadet haben, sie haben dort nur genächtigt. Warum tut man so etwas in Linz? Manchmal kommt es mir vor als müsse man sich all der Obdachlosen schämen, und deshalb haben sie jedes Recht auf „Leben“ verwirkt. Beschämend und fremd und alles andere als Wertschätzend. Wir haben viele Menschen auf der Straße, die keinen Ausweis mehr haben, keinen Staatsbürgerschaftsnachweis, keine Geburtsurkunde oder ein sonstiges Dokument. Hier einen Ausweis machen zu lassen gleicht einem Spießroutenlauf. Es muss eine Person gefunden werden, der/die die Identität bestätigt. Und das ist nicht so leicht wie es sich anhört. Das kann und darf auch nicht jede/r machen, aber ohne Ausweis droht wieder eine Strafe, wenn eine Personenkontrolle gemacht wird und man kann sich nicht ausweisen. Ein Teufelskreis. So einen Fall haben wir gerade, den wir täglich versuchen zu lösen. Hier werden seitens der Verwaltung haarsträubende Aussagen über denjenigen gemacht, der die Identität bestätigen möchte. Manche werden erst gar nicht akzeptiert und auch nicht gehört, andere gibt es aber oft gar nicht die das leisten könnten oder wollten. Es gäbe so vieles zu tun für unsere Verantwortlichen in Linz, nur, es scheint, dass all diese Anliegen nicht wichtig genug sind und da unsere Schützlinge auch keine Wähler sind, wird auf sie „vergessen“. Das wollte ich einmal anmerken, weil es anders auch ginge, wenn man wirklich will. Die laufende Woche ist geprägt von viel Hintergrundarbeit, Spenden abholen, Lagerarbeit, ganz viel Arbeit am PC und, und, und. Am Dienstag rief mich ein Herr an, er hätte eine Tabak Trafik und wolle jetzt, nachdem er erfahren hat, dass eine große überregionale Institution, an die er seit Jahren Geld und Zigaretten gespendet hat, das Spenden-Geld anders eingesetzt hat und die Zigaretten gewinnbringend verkauft hat, nicht mehr dorthin spenden. Er hat sich unsere Aktion angeschaut und wolle künftig uns die Spenden zukommen lassen. Erfreulich für uns, aber ich frage mich schon auch, warum man Spender auf diese Weise so enttäuschen muss? Ich werde so etwas niemals verstehen, niemals verstehen wollen. Darum gibt es bei uns diese Transparenz, dass wir alles offenlegen und zeigen, was wir mit Euren Spenden machen, wohin diese gehen und wer davon profitiert. Das ist uns immens wichtig!
Der Donnerstag begann wie üblich mit Einkauf beim Hofer abholen, Lager, in Haid Gebäck und Brot abholen. Barbara und Matej helfen mir heute ab 9.30 Uhr, ich bin glücklich, alleine wäre das alles nicht mehr zu schaffen. Zu Mittag kommen dann weitere Vereinsmitglieder, um zu helfen bei all den Vorbereitungen. Heute verspricht es ein absoluter Sonnentag zu werden, tut gut nach all den grauen Tagen in den letzten Wochen und Monaten. Heute dabei ist auch der Enkelsohn unserer Ingrid, Alexander, der ebenfalls ab Mittag mithilft und mindestens so begeistert ist wie alle anderen auch. Er bringt frischen Wind ins Lager, huscht umher, kehrt zusammen, fährt mit dem Hubwagen. Toll, was er mit 8 Jahren schon alles kann.
Um 15.09 Uhr fahren wir los Richtung Linz, neben mir Alexander und Matej, alle anderen fahren mit Barbara. Als wir ankommen warten schon gut 15 Schützlinge, alles ausräumen, einige unserer Schützlinge helfen uns alles auszuräumen und zu verteilen. Im Nu ist alles am richtigen Platz, heute haben wir Kaffeetorten dabei, gesponsert von der Gourmeteria, ein tolles Produkt das wir nicht jeden Tag bekommen. Nachdem 5 unserer alten Stammmannschaft nicht dabei sind heute, müssen wir heute improvisieren. Aber alle arbeiten verantwortungsvoll und gewissenhaft, also können wir alle Stationen belegen. Um 16.10 Uhr geht es los, die lange Schlange wird zum Schluss 69 Personen lang gewesen sein. An einem 1. des Monats hatten wir noch nie so viele Besucher. Erschreckend. Und wieder einige neue Gesichter, die letzte Woche auf die Straße gesetzt und delogiert wurden. Und das sind Menschen wie Du und Ich, Menschen die keine finanziellen Börsenspiele machten sondern in die Fänge von Corona geraten sind, Kurzarbeit, Kündigung, Mietrückstand, Betriebskosten konnten nicht mehr bezahlt werden und schon ist man, so das soziale Netz hinter dir wegbricht und nicht helfen kann/will, in der Abwärtsspirale. Alleine schafft man es fast nicht mehr hier heraus, hier kommen so viele Faktoren zusammen die man irgendwann alleine nicht mehr beherrschen kann. Nach etwa 1 Stunde kam die Polizei vorbei und fragte ob wir mit der Volkshilfe zusammenarbeiten würden, was ich verneinte. Es gehe um einen Verkehrsunfall mit einem Transporter der einen großen Schaden verursachte. Die Polizei ging durch die Reihe und frug alle Schützlinge ob jemandem der Mann am Bild bekannt wäre, was alle verneinten. Auch heute wollten sich wieder Menschen bei uns Spenden holen, die in der Betreuung anderer Organisationen sind, dort Geld, Kleidung und Unterkunft bekommen, und es nicht verstehen, wenn wir sagen, dass unsere Aktion für Obdachlose und Wohnungslose bzw. arme Menschen ist. Es ist auch nicht gerade fair, sich bei allen Möglichkeiten anzustellen und um Sachen zu bitten, die dann vor unseren Augen verkauft werden. Wenn jemand neue Turnschuhe trägt und bei uns nun „schönere“ sieht und diese unbedingt haben möchte, ist niemand verlegen um eine Ausrede.
Wenn ich aber Einkommensnachweis und Ausweis verlange, kommt meist heraus, dass die meisten weder bedürftig noch arm sind, sondern einfach nur gierig. Dem beugen wir an jedem Donnerstag vor, erfolgreich. Später kommt noch ein rumänischer Roma, den ich seit 2 Jahren halbwegs gut kenne, er besitzt ein großes Auto, hat eine Wohnung und greift alles ab, was ihm so bietet. Letztens parkte er frech sein Auto hinter unserem Transporter im Terminal, als wir die Nachttour fuhren und bat uns um Spenden, um Schlafsack und Isomatte, auf meine Bitte den Zulassungsschein herzuzeigen, lehnte er ab, er behauptete immer nur „Das Auto gehört mir nicht“, er war aber nicht bereit die Situation aufzulösen, so ging er letztens schon fluchend und schimpfend zurück zu seinem Auto, heute war er mit Fahrrad bei unserem Bus und schimpfte mich ebenso derb wie letztes Mal. Ich bin nicht mehr gewillt, mir solche Räubergeschichten anzuhören und vielleicht auch noch Spenden auszugeben. Er ist weder arm, noch obdachlos, er ist meines Erachtens einfach nur unfair und handelt aus reiner Gier.
Um 18 Uhr waren alle Schützlinge mit Lebensmittel und Hygieneartikel versorgt, in Rekordzeit räumten wir alles ein und begaben uns auf die Rückfahrt nach Ansfelden, wo alles ebenso flott wieder eingelagert wurde. Der kleine Alexander ist glücklich, dabei gewesen zu sein, Matej, der heute zum 1. Mal dabei war, auch. Für mich fühlt sich jeder Donnerstag anders an, der heutige war endlos. Wenn man frühmorgens nach 3 Stunden Schlaf müde aufsteht und man weiß, dass man heute bis Mitternacht sitzen wird um alles fertig zu haben, lässt die Motivation an der einen oder anderen Stelle auf sich warten. Ich weiß aber zu genau, für wen und was wir das alles getan haben heute, es war wichtig, es war richtig, und es war gut so. Seit gut 3,5 Stunden schreibe ich an diesem Text, im Kopfhörer gerade „Dreams Made To Last Forever“ von Dana Winner, sie holt mich zurück auf den Boden, zurück in mein Herzblut, lässt meine Seele lächeln.
Langsam fällt nun der Stress ab, die Nacht und die Musik tut das Ihrige dazu und ich lasse den Tag ausklingen bei einem demütigen Danke und Vergelt’s Gott an all unsere Spender/innen, Danke, dass ihr uns auf unseren Wegen begleitet und uns so großartig unterstützt. Ein großer Dank ergeht auch an unser Team das heute wieder großartige Arbeit machte. Danke an jede/n Einzelne/n der/die heute wieder sein/ihr Bestes gab und zum „Erfolg“ beigetragen hat. Danke dass ihr alle den gleichen Fokus habt und wir alle wissen, warum und für wen wir diese Aktion machen. Danke und gute Nacht! 🙂 ❤