105 verschiedene Menschen, 105-mal die gleiche Armut!
Wie schnell und wie steil Bergab es im Leben gehen kann, sieht man erst, wenn man selbst betroffen ist. Viele Menschen können ein „Lied“ davon singen, wie schnell es geht, wenn hinter einem Menschen das soziale Netz wie Familie oder Freunde wegbrechen und man im freien Fall Richtung Armut/Obdachlosigkeit aufwacht.
Und glaubt mir liebe Leute, niemand ist sicher vor dieser Spirale, niemand, es kann jede/n treffen. 2-3 unglückliche Begebenheiten auf einmal und schon fällt man durch den Rost, ist man in einer tiefen Abwärtsspirale. Zurzeit haben wir bei Andy das lebende Beispiel, wie schnell es gehen kann, und warum sich dann die Probleme nicht einfach so beseitigen lassen. Andy ist weder Alkoholiker noch Junkie, er ist ein Mann der Mitten im Leben steht und dem das Leben zurzeit bitterböse mitspielt. Andy möchte arbeiten, auf dem schnellsten Weg, doch dafür braucht er einen Hauptwohnsitz, den er nicht hat, für den Hauptwohnsitz braucht er Geld, das er NOCH nicht hat und auch keinen Zugang zum eigenen Konto mehr hat, bis er der Bank einen Meldezettel bringen kann. Reisepass reicht nicht! Sein Konto ist weder überzogen noch sonst etwas, er hat keine Schulden und fällt doch durch den Rost. Andy hat in der Nacht zum Dienstag einen Suizidversuch gemacht, weil er nicht mehr weiterweiß und dieses Leben auf der Straße nicht aushält. Der Magistrat rief mich am Dienstagvormittag an und bat um Spenden für einen Obdachlosen der im Magistrat ist, Stefan und ich packten das Nötigste ein und fuhren nach Urfahr zum Rathaus. Als ich Andy sah wusste ich noch nichts von seinem Suizidversuch, ich war erstaunt Andy hier anzutreffen. Die Dame am Schalter telefonierte geschlagene 1,5 Stunden um Andys Probleme etwas zu lichten, auch diese Dame meinte, Zitat: Hier fällt jemand durch den Rost, der niemals durchfallen dürfte, es tut ihr so sehr leid, aber sie können ihm nicht weiterhelfen“. Ich rief Didi Mayr, Streetworker vom B37 an und bat ihn um einen Termin, Didi meinte nur komm vor 12Uhr ins Büro, dann schauen wir was wir tun können. Also vom Magistrat direkt in die Starhembergstrasse zu den Streetworkern. Didi stand mit Thomas draußen und schickte Andy gleich zu seiner Kollegin, alles abklären zu lassen. Nach 10 Minuten kam Andy mit einem Lächeln heraus und hatte wieder Mut gefasst. „Schaut gut aus“. Na dann! Also weiter zur Gesundheitskassa, dort einen Auszahlungsschein holen, da Andy krankgeschrieben ist. Er muss ihn von der Hausärztin bestätigen lassen, dann wird das Geld angewiesen, was ihm aber durch den fehlenden Wohnsitz nicht hilft, an sein Konto zu kommen. Ein Teufelskreis. Ich machte Andy klar, dass wir ihm helfen werden, dass wir alles tun werden was wir können, ob das reichen wird, wissen wir nicht. Ich gab Andy das Zug Geld für die Fahrt zu seiner Hausärztin, er versprach mir gleich Mittwochfrüh zu ihr zu fahren, was er nachweislich auch tat. Wie wir aber all die Probleme für Andy in den Griff bekommen werden, wissen wir noch nicht genau. Zuerst war wichtig diese Bestätigung der Hausärztin, jetzt ist wichtig einen Hauptwohnsitz mit Wohnadresse zu besorgen, wie wir den finanzieren könnten, keine Ahnung. Ich wüsste auch zurzeit keine Wohnung, in die ich Andy stecken könnte. Ich kann nichts versprechen, nur so viel, dass ich auch hier mein Bestes geben werde um Andy zurück ins Leben zu helfen. Andy sagt immer, Zitat: „Wahnsinn, wie schnell das gegangen ist, ich habe es in diesen 14 Tagen auf der Straße immer noch nicht verinnerlicht, nicht begriffen, wo ich jetzt bin und was aus mir binnen kürzester Zeit wurde“. Solche „Andys“ gibt es viele, liebe Wegbegleiter, ganz, ganz viele, und in letzter Zeit immer mehr und immer geht es noch schneller, dass sich die Spirale beginnt zu drehen, Abwärts! Heute waren 105 Menschen bei unserem Bus, die sich Lebensmittel, Hygieneartikel, neue Unterwäsche und neue Socken, warme Schuhe und Jacken holten. Eine Zahl die mich heute nicht sehr überrascht, und mich doch mitten ins Herz trifft. Die Woche war bisher geprägt von tollen, großartigen Spenden von tollen Spendern/innen. An dieser Stelle eine tiefe Verneigung für die große Hilfe. Montag bei Efko, Hr. Grün spendete uns etwa 300 Aufstriche und Salate. Anonyme Spender spendeten am gleichen Tag 1 große Palette Kekse, am Dienstag ging es dann weiter mit 5000 Packungen Zuckerl, Servietten, Rasierschäume etc.. Aus Wien kommen morgen Freitag 8 Paletten Jour-Gebäck, die Spedition Transdanubia holt uns die Paletten gratis ab und stellt sie kostenlos ins Tiefkühllager. In Kürze kommt eine große Anzahl frisch produzierter Torten dazu, die wir ebenfalls gespendet bekommen. Wahnsinn, all dieser Spendenumfang. Vergelt’s Gott und vielen Dank!Mittwoch war wie immer geprägt von Kühl- und Tiefkühllager, alles abholen und in unser Lager bringen, alles vorbereiten für Donnerstag. Heute Donnerstag wie immer, früh raus und ab ins Lager, Markus brachte mir gestern schon das Gemüse und Obst von Roman aus Sierning, der uns jede Woche mit vielen Spenden hilft. Auch hier ein herzliches Dankeschön für deine Hilfe. Markus fährt nach einem langen Arbeitstag jeden Dienstag und Mittwoch nach Sierning um für uns die Sachen abzuholen. DANKE Markus! Also heute früh alles ausladen, Robert ist heute nicht dabei vormittags, er hat einen anderen Termin. Also muss ich schauen alles irgendwie gestemmt zu bekommen, alleine! Nachdem ich alles Brot und Gebäck abgeholt habe und wieder im Lager war, kam Aida mit Spenden vorbei und half mir Brot und Gebäck zu sortieren. Zu Mittag kam dann Susanne mit 2 Helferinnen, die mir auch halfen alles zusammenzustellen, alles einzupacken und zu portionieren. Das Teewasser kochte schon und Maria kam heute aus ihrem Kur-Urlaub zurück. Sie ist wieder mit im Team. Welcome back! Als alle anderen dann um 14 Uhr auch im Lager waren, kamen von mir unüberlegte, überflüssige, dumme Aussagen, gegenüber meinem Team, das ich sehr bereue und mich auch mehrmals entschuldigte. Aus diesen dummen Aussagen von mir, wäre bald was noch viel Schlimmeres entstanden, auch hier möchte ich öffentlich noch einmal beim Team um ENTSCHULDIGUNG BITTEN! Es tut mir aufrichtig leid. Als wir dann um 15.20 Uhr Richtung Linz aufbrachen, war zwar am Himmel die Sonne, in meinem Herz und meinem Kopf zogen tiefdunkle Wolken auf, mein schlechtes Gewissen dem Team gegenüber.
15.30 Uhr Ankunft in Linz, etwa 25 Schützlinge warten schon, wie gesagt, 105 werden es heute werden. Alles abstellen, zurechtrücken und auspacken, aufstellen. Um 16.10 Uhr, Beginn der Ausgabe. Wie immer muss ich die 2 Meter Disziplin immer wieder einfordern, Masken rauf und keinen Alkohol bei unserem Bus. Jede Woche die gleichen Ansagen. Die Schlange wächst binnen ein paar Minuten auf eine Länge an, die wir nur selten haben. Und es kommen immer mehr, viele Unbekannte, viele Altbekannte, viele vertraute Gesichter, was heute anders ist, in den Augen vieler Schützlinge ist die große Angst vor weiteren Kürzungen, Einbußen, deutlich zu sehen. Immer wieder werde ich gebeten um Nächtigungsjetons, zum Schluss sind es heute pro Person nur mehr 2 Jetons, insgesamt verteilen wir heute 68 Jetons à € 4,-. Zur Kältewelle vor ein paar Wochen konnten wir noch 3 Jetons pro Person ausgeben, aber auch wir müssen gut vorbereitet sein, wenn Corona uns wie jetzt gerade, auch künftig noch viel mehr Menschen zum Bus schickt. Ich befürchte einen Megatrend Richtung Abwärts, viele können sich jetzt schon die Miete nicht mehr leisten, wie letzte Woche schon angemerkt, viele wurden schon delogiert und viele stehen kurz davor, und wissen nicht mehr weiter. Dank der Dame vom Magistrat kenne ich aber nun ein paar weitere Anlaufstellen, die jede/r nutzen kann. DANKE liebe Magistrats-Dame, dass Sie uns solch wertvolle Tipps gaben.
Sr. Lydia kommt vorbei, auf ein Schwätzchen, sie sucht auch für eine Mutter von 2 Kindern eine Wohnung, dringend! Auch hier werde ich versuchen etwas in Bewegung zu setzen, versprechen aber kann ich nichts, leider. Es wäre halt schon sehr dringend, hakt Sr. Lydia nochmal nach, und sie weiß, dass ich mein Bestes geben werde. Die Schlange wird und wird nicht kürzer, Eveline, der ich vor ein paar Tagen am Terminal den Trolley versprach kam heute und holte ihn ab, überglücklich. Herr S. von der ÖBB Immo, der uns diesen Platz mit Hr. R. ermöglicht, kam vorbei und wie immer ein kurzer Plausch und immer mit einem DANKE auf der Zunge. Wo wären wir, wenn wir von diesen beiden Herren der ÖBB diese Möglichkeit nicht bekommen hätten? Ich weiß es nicht. Noch bevor ich lange nach der Uhrzeit fragen konnte, hieß es zusammenräumen, 18.15 Uhr, poah, die Zeit verging im Flug. Alles schnellstens einräumen, ab ins Lager, alles ausräumen, einlagern, und dem Team sagen, BITTE UM ENTSCHULDIGUNG, Tränen und Zusprüche, und von mir große Dankbarkeit, dass meine Entschuldigung angenommen wurde. Der Verteil-Donnerstag endet an dieser Stelle für das Team, für mich wie immer erst viel später. Seit 3 Stunden sitze ich hier und schreibe den Bericht für Euch und bin tieftraurig, weil nicht abzusehen ist, wie weit Corona noch Opfer schürt, um die sich die Politik keinerlei Gedanken machen dürfte, wie sonst kann man in vielen Bereichen so handeln oder „argumentieren“ wie es die Politiker gerade tun. Unverständlich! Ich wünsche Euch jetzt eine gute Nacht, lieben Dank, dass ihr uns so treu bleibt und Woche für Woche „dabei“ seid. Vergelt’s Gott und Danke an alle Spender/innen, Gönner/innen, all unseren Wegbegleitern und auch an all unsere Neider, schön, dass es Euch gibt! Eine tiefe Verneigung und alles Gute.